Hattest du schon mal Hunger? Sehr wahrscheinlich, denn Hunger ist menschlich. Globaler Hunger nicht. Oke Anyanwu leitete das Panel „Vom Mangel und Überfluss“ und spricht mit den Teilnehmern über das globale Thema Hunger, also den Hunger, der für Menschen bedrohlich ist. Oke ist Mitglied des Ernährungsrates in Berlin. Das ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich auf den Weg gemacht hat, das Ernährungssystem in der eigenen Stadt und Kommune mitzugestalten. Sie fordern ein Mitspracherecht ein, das System umzuorganisieren, um die Macht von Supermärkten über die Lebensmittelversorgung zurückzugewinnen. Das Stichworte „essbare Stadt“ oder „Urban gardening“ ist ein gelebter Teil der Bewegung, um Eigenständigkeit in der Lebensmittelversorgung zurückzugewinnen.

„Frauen sind die Welternährer: 70% der Nahrung wird von Frauen hergestellt“

Gleich zu Beginn fragt Oke die Teilnehmerinnen, was für sie Hunger bedeutet: Ungerechtigkeit, Lebensmittelspekulation, Mangelernährung, keine ausgewogene Ernährung, Armut und Krisen. Kira merkt aber an: „In jedem Land gibt es Hunger, auch in reichen Ländern wie Deutschland.“ Alle Beiträge beschreiben das Richtige. Die Vereinten Nationen haben sich auf eine allgemeine Definition von Hunger geeinigt:

„Hunger ist, wenn über einen längeren Zeitraum die tägliche Energiezufuhr unfreiwillig unter dem Bedarfsminimum liegt.“

Dieses so genannte Bedarfsminimum liegt bei 1800 Kilokalorien pro Tag. Der in Deutschland täglich verzehrte Durchschnitt liegt bei rund 3600 Kalorien. Das ist nicht unbemerkt an der deutschen Bevölkerung vorbei gegangen. Die Folgen sind eine einseitige Ernährung, die zu Krankheiten führen kann. Diabetes, Übergewicht oder Herzkreislaufkrankheiten bilden da nur die Spitze des Eisberges. Hinzu kommt ein gelebter Überfluss, der in der Verschwendung nicht gewollter Lebensmittel mündet. Hauptverantwortliche dafür sind die privaten Haushalte, die Verbraucher, schlicht: Wir. Der eine Aufstrich im Kühlschrank wird so lange nach Hinten geschoben, bis er sich am Ende doch einen Pelz zugelegt hat und endgültig in die Tonne darf. Das ist verschwenderisch und ist Symptom eines größeren Problems.

Unser Vorurteil: Afrika hungert.

Der sorglose Umgang mit vorhandenen Ressourcen und Lebensmitteln täuscht über den Fakt hinweg, dass auch in Industrienationen Personen Hunger leiden. Mangel und Überfluss stehen sich auch innerhalb eines Landes konträr wie direkt gegenüber. Klar ist, der Hunger innerhalb einer Industrienation ist nicht so extrem wie im globalen Süden. Oke merkt an, dass in Afrika rund zwölf Prozent an Mangelernährung leiden. Demgegenüber stehen beispielhaft die Industriestaaten (EU, USA, Canada, Japan) die weniger als fünf Prozent ihrer Bevölkerung nicht ausgewogen ernähren können. Es ist zusammenfassend nicht ein Phänomen der südlichen Himmelsrichtung.

Warum hungern Menschen?

Doch worin liegen Gründe für den Hunger? Wassermangel, eingeschränkter Zugang zu Bildung oder Förderung marktkonformer Produkte. Das Thema ist vielschichtig. Für den globalen Süden liegen vor allem strukturelle Probleme vor, die eng miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen. Hier vier kurze Beispiele aus dem Workshop:

  • Landgrabbing. Private und staatliche Investoren kaufen oder pachten große Landfläche, um dort Agrarprodukte an- oder abzubauen. Das Ziel ist der Export dieser Produkte. Vor allem wirtschaftlich schwache Regionen sind betroffen. Kleinbauern leiden unter nicht verbrieften Landrechten, was zu unklaren Rechtsverhältnissen führt. Das Einkaufen großer Landflächen findet aber auch vor der eigenen Haustür statt: In Brandenburg ist Landgrabbing gelebte Praxis.
  • Kolonialismus ist eine Politik vergangener Tage, die ihren Höhepunkt Ende des 19. Jahrhunderts erlebte. Westliche Imperien kolonialisierten rohstoffreiche Regionen. Die dort gewonnenen Rohstoffe wurden in die imperialistischen Zentren transportiert und gewinnbringend verkauft, für die Kolonialisten. Diese wirtschaftlichen Strukturen gehören leider nicht der Vergangenheit an. Zahlreiche ehemalige Kolonien leben noch immer in einer starken Abhängigkeit, da sie Primärgüter wie Grundnahrungsmittel oder unverarbeitete Rohstoffe exportieren.
  • Wasser. Wenn es fehlt, ist kein Leben möglich. Der von Regen gesegnete Norden leidet unter dem globalen Wassermangel bei weitem nicht so stark wie trockene Regionen der Welt. Doch die Landwirtschaft gilt als größter Wasserverbraucher in allen Kulturen. Virtuelles Wasser stellt diesen Verbrauch, der für die Produktion aufgewendet wird, in verbrauchten Litern dar. Die Produktion von einem Kilo Reis braucht im Schnitt rund 2552 Liter pro Kilo. Dazu zählt Regenwasser, durch die Produktion verunreinigtes Wasser, und Wasser, das abfließt und nicht in den lokalen Wasserkreislauf zurückgeführt wird. Hauptproblem ist, dass die Menge des Trinkwassers abnimmt oder, dass dieses verunreinigt wird.
  • Klimawandel ist mit eine Hauptbedrohung der weltweiten Ernährungssicherheit. Die Landwirtschaft bildet dabei einen der größten Verursacher des Klimawandels durch die Rodung von Regenwälder, die Schaffung von Monokulturen und Bodenerosionen. Der Ausstoß klimaschädlicher Gase wird erhöht und zeitgleich wird die Aufnahmefähigkeit der ökologischen Senken reduziert. Senken ist ein umstrittener Begriff, der im Groben aber gesunde Wälder, Ozeane oder die Atmosphäre umfasst.

Alle Probleme sind nicht auf einmal zu lösen. Doch Hunger gehört in das allgemeine Bewusstsein, vor allem innerhalb der Nachhaltigkeitsdebatte. Niemand muss Hunger leiden.