Jung ist die Europäische Union ja nicht mehr, dennoch braucht es dringend junge Ideen und Tatendrang, um die EU wieder in Schwung zu bringen. Wie soll sich die Europäische Union in naher Zukunft entwickeln? Welche Projekte können dazu beitragen, dass die Europäer enger zusammenwachsen? Diesen großen Fragen nähert sich die Gruppe „Junges Europa – Vernetzung und Austausch“ im Rahmen ihres Themenworkshops während des Takeover Bellevue.
In einem kleinen Zelt im Schlosspark, umgeben von hoch aufragenden Bäumen am Rande eines kleinen Teichs, soll nun zwei Tage lang über die Zukunft der EU diskutiert werden. Nach und nach treffen die rund 15 Jugendlichen im Zelt ein. Ihnen steht jetzt ein „Aufnahmetest“ bevor. Sie sollen sich einen Papphocker zusammenbauen, Stühle gibt es keine. Neben der Pappe für die Hocker ist das Zelt mit drei großen weißen Pinnwänden, Tischen, Chartboard und reichlich Bastelmaterialien ausgestattet.
Die Einrichtung lässt erahnen, dass sich dem Thema „Junges Europa“ kreativ genähert werden soll. Professionelle Unterstützung kommt durch Sandra Bach und Daniela Wagner von „Sandruschka – Raum für Gestaltung“ aus Weimar. Das Duo will der Gruppe die Grundlagen des Graphic Recording näherbringen. Während des Workshops werden Ergebnisse mit Stift und Papier visuell festgehalten – in Form von Schlagwörtern, kleinen Zeichnungen und Pfeilen.
Für ein erstes Kennenlernen untereinander werden die Teilnehmenden mit zwei verschiedenfarbigen Zetteln ausgestattet. Hier sollen sie aufschreiben, was ihr Lieblingsort in Europa ist und was sie mit dem Kontinent verbinden. Kopenhagen, London, Paris werden genannt, aber der Ortsteil Drispenstedt oder die Ostseeinsel Fehmarn. Neben Orten verbindet die Gruppe Werte wie Vielfalt, Friede, Freiheit und Wohlstand mit dem Kontinent.
In Zweierteams soll nun das Graphic Recording geübt werden. Jeder Teilnehmer erzählt, was für ihn*sie Europa ausmacht. Der Teampartner versucht sich währenddessen am Graphic Recording. Gar nicht so einfach, das große Thema EU auf ein Blatt Papier zu bringen!
Für die inhaltliche Arbeit sollen drei Untergruppen gebildet werden. Die Jugendlichen halten auf bunten Zetteln fest, welche Themen ihnen besonders am Herzen liegen. Schließlich steht die Einteilung: die Gruppen werden zu den Themen „Werte“, „Soziales“ und „Wirtschaft“ arbeiten. Statt auf ganz Europa zu blicken, möchten die Teilnehmer sich auf die Europäische Union beschränken.
In der Kleingruppe ist nun Raum für Diskussion: In welche Richtung soll sich die EU in Zukunft entwickeln? Wo sind Probleme, welche Maßnahmen sind wünschenswert? Doch viel Zeit bleibt den Gruppen nicht, schließlich sollen die Ergebnisse morgen bereits dem Bundespräsidenten vorgestellt werden. Eine einfache Power-Point-Präsentation wäre zu langweilig, meint das Team von Sandruschka. Stattdessen schlagen die beiden vor, die Papphocker mit großen Buchstaben zu beschriften und daraus wie bei einem Klötzchenspiel die Forderungen zu bilden. Abschließend zeigt Sandra Bach den Jugendlichen, wie sie kleine Symbole, sogenannte Icons, zu den von ihnen benannten Problemen der EU entwickeln können.
In der Abschlussrunde wird geklärt, was morgen anderes oder besser laufen soll. „Mehr inhaltlich arbeiten“, „weniger zeichnen“, „schneller zum Punkt kommen“, sind die genannten Kritikpunkte.
Am nächsten Morgen stehen die Jugendlichen im gleißenden Sonnenlicht vor Schloss Bellevue, unter ihren Füßen knirscht das vom Reif weiße Gras. Die Berliner Presse hat sich vor den Stufen des Schlosses versammelt, alle erwarten mit Spannung die Begrüßungsrede des Bundespräsidenten. Schließlich öffnen sich die Flügeltüren und Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender treten vor das Rednerpult. Die junge Generation habe besonders während der Pandemie große Solidarität gezeigt, dafür müsse man besser hinhören und die Anliegen der Jungen ernst nehmen, so der Bundespräsident. Eine erste Gelegenheit hierzu nimmt er bei seinem Gang durch die Workshop-Gruppen an diesem Vormittag wahr.
Im Zelt der Gruppe „Junges Europa“ wird aber zunächst ein anderer hoher Gast erwartet. Rainer Breul, Diplomat im Bundespräsidialamt, steht der Gruppe Rede und Antwort. „Bietet der Brexit auch Chancen, da Großbritannien ja häufig eine blockierende Funktion hatte? „, „Was sagen Sie zum Handeln der Grenzschutzbehörde Frontex?“, fragen die Jugendlichen.
Der Besuch ist kurz, denn nach etwa zehn Minuten Diskussion trifft der Frank-Walter Steinmeier zu der Runde. Für ein Gruppenfoto bleibt Breul noch, dann muss er wieder an die Arbeit. Der Bundespräsident nimmt auf einem der Papphocker im Sitzkreis Platz.
„Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft der EU?“,
möchte er wissen. Mit einem Blick auf die Pinnwand, an der die Jugendlichen ihre Lieblingsorte in Europa angeheftet haben, fragt er: „Planen Sie denn einen Auslandsaufenthalt oder haben Sie bereits einen hinter sich?“ Auch die Jugendlichen dürfen Fragen an den Bundespräsidenten richten. Doch seine Zeit ist ebenfalls knapp bemessen, schließlich möchte er heute noch allen acht Gruppen einen Besuch abstatten.
Nach einer kurzen Mittagspause wird intensiv an der Präsentation gearbeitet, die am Nachmittag im großen Hauptzelt gehalten werden soll. Jene Papphocker, die den Workshop schadlos überstanden haben, werden mit großen Buchstaben versehen. Ein rundes Europa-Puzzle wird von den drei Kleingruppen mit ihren Forderungen beschriftet. Generalprobe im Park, das Social-Media-Team filmt ein kurzes Reel für den Instagram-Account des Bundespräsidenten. Dann beginnt auch schon die Vorstellung.
Elke Büdenbender und Frank-Walter Steinmeier sitzen zwischen den Jugendlichen im Hauptzelt. Eine Gruppe nach der anderen präsentiert ihre Ergebnisse. Acht Gruppen, acht unterschiedliche Darstellungsformen. Von der Power-Point-Präsentation, über ein Theaterstück und Kurzfilme, bis zum Klötzchenspiel der Gruppe „Junges Europa“ ist alles dabei. Die Gruppenarbeit ist damit beendet. Doch was bleibt?
Zunächst wurde der jungen Generation mit den Tagen auf Schloss Bellevue ein Platz auf der Bühne gegeben. Einmalige Einblicke, Schlossbesichtigung, Gelegenheit zum Austausch. Dennoch kritisieren einige, dass zu wenig inhaltlich gearbeitet wurde. In den rund 8 Stunden, die in den Projektgruppen verbracht wurden, bleibt auch nicht viel Raum für eine tiefgehende Auseinandersetzung. Der Fokus wurde stark auf die Präsentation und die kreative Darstellung gelegt. Jedoch ist jungen Erwachsenen zwischen 16 und 24 Jahren durchaus mehr zuzutrauen als Theater, Poetry Slam und Kurzfilme. Zumal die Darstellungsformen oft vorgegeben und nicht von den Jugendlichen selbst gewählt wurden. Dennoch war die Veranstaltung für alle Beteiligten ein Gewinn – bot Raum für Gespräche, Diskussionen, Austausch. Und wer weiß – vielleicht hören wir in der diesjährigen Weihnachtsansprache ja tatsächlich etwas von den Forderungen der Klima-Gruppe. Diese hat dem Bundespräsidenten nämlich eine Checkliste für seine Ansprache überreicht.