Eine umweltjournalistische Perspektive auf die Frankfurter Buchmesse 2023

Neugierige Füchse, dunkle Wälder, Blumenwiesen, Landschaftsmalereien – an Naturmotiven mangelt es nicht in den Hallen der Frankfurter Messe in den Tagen der größten Buchmesse der Welt.
Zum 75. Mal stellten mehr als 4.000 Aussteller aus 95 Ländern die aktuellen literarischen Werke der Welt für ein großes Publikum aus. Signierstunden, Podiumsdiskussionen, Meet-and-Greets und vieles mehr beinhaltet das öffentliche Programm zwischen dem 18. Und 22. Oktober.

Die Atmosphäre ist bunt

Ein breites vielfältiges Publikum strömt am Wochenende durch die Hallen; „Leseratten“, „Bücherwürmer“, Cosplay-Fans, Bildungsengagierte, Familien, Comicliebhabende – Menschen jeden Alters finden hier an den aufwendig und liebevoll gebauten Messeständen der Verlage ihre Interessen vertreten. Ein Tagesticket für Privatpersonen kostete in diesem Jahr 25 Euro, ein Wochenendticket 44 Euro. Das bezahlten rund 215.000 Menschen (zum Vergleich: 2022 kamen etwa 180.000 Menschen) gerne für das Bücherspektakel.

Ein Ort für politischen Diskurs

Schon beim Schlendern durch die Hallen und über das Gelände, spätestens jedoch beim Blick in die FBM-App merkt man: Die Buchmesse ist politisch und will dies auch sein: „Demokratisch, diskursiv und divers“ titelt die Buchmesse selbst über ihr kulturpolitisches Programm in einer Pressemitteilung; sie wolle eine Plattform für demokratischen Austausch in Zeiten zunehmender Verständnislosigkeit bieten, heißt es darin. Der NDR resümiert: „politisch wie nie zuvor“. Viele inhaltliche Diskurse werden vom Krieg im Nahen Ost bestimmt, die Zuschauertribünen vor den Panels sind voll. Man spürt: Die Menschen sind bewegt von den Geschehnissen, es ist wichtig, dass es den Raum für die Themen hier gibt. Doch auch in den anderen Hallen schwingen die weltpolitischen Geschehnisse mit, mal unterschwellig, mal offensiv.

Im Pressezentrum der Buchmesse sitzen viele Journalist:innen, die den Diskursen auf dem Gelände auch eine mediale Präsenz außerhalb der Buchmesse geben.Dieser Artikel wirft einen Blick auf die aktuell in den Hintergrund gedrängten Themen: auf die Präsenz von Klimanotstand, nachhaltiger Transformation und Umweltthemen auf der Messe. Wie viel Raum und welche Bühne schenken die Verlage und Programmverantwortlichen den Themen, die zwischen verschiedenen Kriegen und politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen ihren Platz im Diskurs suchen?

Ja, das Klima gibt es doch noch…

Spoiler: Ganz verschwunden sind sie nicht aus dem Programm, die Klima- und Umweltthemen, auch wenn sie nicht prominent im Vordergrund stehen. Das zeigt schon das Liveprogramm der Messe: So diskutieren Aron Boks (Schriftsteller), Lea Bonasera (Letzte Generation, Aktivistin/Publizistin) und Jörg Phil Friedrich (Publizist) bei der Diskussion „Klimakleben oder Landunter?“ von PEN Berlin e.V. über Klimapolitik im Spannungsfeld von Demokratie und Protest, von Aktivismus, Repression und Wissenschaft.

Lea Bonasera spricht noch in einem weiteren Format: „Sheroes – Streiterinnen für die Zukunft“. Unter dem Titel „Wir – widerständig und demokratisch?“ diskutiert sie mit der Zeit-Journalistin Yasmine M’Barek, welche in einem Essay Protestformen untersucht hat. Der Saal ist voll, der Zwischenapplaus zeitweise verhalten. Auch hier, in diesem Setting wird deutlich: Das Thema polarisiert. Bonasera macht deutlich, ihr fehle der wissenschaftliche Hintergrund in der Debatte um Klimaprotest, daher hat sie das Buch „Die Zeit für Mut ist jetzt!“ geschrieben. M’Barek argumentiert vor dem Hintergrund ihres am 11.09.2023 im Leykam Verlag erschienenen Essays „Protest – Über Wirksamkeit und Risiken des zivilen Ungehorsams“. Die Menschen hören aufmerksam zu, während die beiden Autorinnen über die Wirksamkeit und Grenzen von Protest sprechen. Die Atmosphäre ist respektvoll, die Gesichter im Publikum nachdenklich. Mit dem journalistischen Blick von außen denke ich: Neutrale konstruktive Räume, wie die Literaturbühne auf der Frankfurter Buchmesse, das brauchen wir mehr in diesen Zeiten. Das ganze Sheroes-Gespräch kann hier angesehen werden.

Mehr oder weniger verstecke Programmpunkte

Es gibt noch mehr Programmpunkte, die das Thema einbinden; die Autorenveranstaltung „Generation Krise Hoffnung – Wie junge Menschen zwischen Klimawandel, Krieg und Selfie-Sucht die Zukunft gestalten“ von Klartext Verlag Jakob Funke Medien Beteiligungs GmbH & Co. KG oder als der Autor Jürgen Rahmig sein Buch „Der Kampf um Wasser“ signiert und mit Leser:innen über die Inhalte spricht.

Beim Betreten von Halle 3 fällt der Blick direkt auf Stand A14 vom Ulmer Verlag. Viele Exemplare des Buches von Quentin Kupfer, einem naturverbundenen Influencer zieren den Bau. Der junge Filmemacher und Skater setzt sich für Bienen und Vögel ein und hat auf der Buchmesse sein neues Werk „#meetthebeefamily. Quentins Welt der Bienen“ vorgestellt. Am Stand spricht er auch über Bienen- und Insektenschutz.

Slowenien präsentiert sich nachhaltig

Ein ganzer Pavillon hat sich das Nachhaltigkeitsthema zum Leitsatz gemacht: der Ehrengast Slowenien spielt mit seinem Motto „Honeycomb of Woms – Waben der Worte“ auf Bienen an und setzt damit einen Akzent auf Nachhaltigkeit. Auch in der Umsetzung bleibt das Land diesem Motiv treu, so soll der Sloweniens Pavillon vollständig recyceltem oder wiederverwendbaren Materialen gebaut worden sein, wie die Hessenschau schon vor der Messe berichtete.

Gedanken zu unserer kulturellen Naturvorstellung

Beim Wandeln durch die Gänge der  Hallen 5 und 6 drängt sich dann noch noch ein anderes Bild auf: ein romantisiertes, harmonisches, freundliches Naturbild. Viele Veröffentlichungen, von diversen Kinderbüchern bis zu den Verlagskatalogen sind voll von wunderschönen Motiven aus der Natur: Lachende Wildtiere, futuristische Stadtnatur, seelenruhige Berglandschaften, gesunde Wälder. Neben der Tatsache, dass kaum Bücher mit Naturbildern auf dem Cover wirklich auch Natur im Inhalt verhandeln, bleibt noch ein weiterer Aspekt zu hinterfragen: Denn keine dieser Darstellungen scheint den Anspruch zu haben, sich an realistischen Zuständen zu orientieren.

Ja, die Natur wird nicht erst seit gestern romantisiert und unsere Naturvorstellungen sind bekanntlich kulturell erzeugt (mehr zu Naturerfahrungen und kultureller Bildung hier bei kubi-online). Aber befinden wir uns nicht in einer Zeit, in der ein realistischer Blick (auch aus der kulturellen Sparte, nicht nur aus der wissenschaftlichen) auf den Zustand der Erde, unserer Ökosysteme, unserer Meere und Wälder, uns unterstützen würde, die trockenen klimawissenschaftlichen Fakten in unsere Lebenswelt zu integrieren?
Das frage ich mich, beim Anblick eines in einer gesunden Baumwurzel wohnenden Frosches. Ich frage mich, ob die Autor:innen und Illustrator:innen unserer Zeit nicht die Verantwortung tragen, uns eine neue Naturvorstellung zu ermöglichen? Das vermisse ich hier, auf der global größten Buchmesse.

In den Geschichten der Welt existiert die Natur weiter, wie sie es immer getan hat, verharrt in ihrem unangetasteten, ausgeglichenen Zustand. Sie existiert weiter als, das was viele Menschen in ihr sehen wollen.
Wird das unserer Zeit gerecht?

Die Themen bleiben hinter anderen Prioritäten zurück

Insgesamt bleiben Umweltthemen auf der Messe zweitrangig, die Prioritäten liegen bei anderen Themen. Doch es  gibt sie hier trotzdem, die Bühnen der Klima- und Nachhaltigkeitsliteratur. Man spürt auf der Buchmesse genauso wie in den Medien, dass es uns schwerfällt, unsere Aufmerksamkeit zu teilen. Wie wir das einordnen, wie wir das bewerten, das bleibt uns überlassen.