Nach über einer Stunde stehen wir endlich vor dem Türsteher. Die Gruppe von fünf Menschen vor uns wurde grade abgewiesen mit der Aussage, dass es heute leider schon voll sei. Leicht nervös schaue ich zu meinen drei Begleitern, die bewusst emotionslos den Mann vor ihnen anschauen, der grade ihre Ausweise und Impfnachweise prüft. Er mustert uns und lässt uns nach einem Moment mit einem Nicken an ihm vorbei in den Club.

Mein Herz macht einen Satz und voller Vorfreude treten wir durch die Tür. Sobald wir unsere Jacken abgegeben und unseren Weg zu den Floors gefunden haben, umhüllt uns das dumpfe Hämmern des Basses. Um uns herum eine Masse tanzender Körper, die sich elektrisiert zu den Klängen der Musik bewegen. Durch mich strömt ein Gefühl von endloser Energie und Ekstase, während wir uns durch die Menge bewegen, um einen Platz zum Tanzen zu finden. Ich kann die ganze Nacht nicht mehr aufhören zu lächeln bis wir irgendwann von der aufgehenden Sonne langsam in die Realität zurückgeholt werden und um sechs Uhr morgens glückstrunken wieder auf die Warschauer Straße treten und uns auf den Heimweg machen.

Das war im Sommer 2021 das erste Mal seit Beginn der Covid-19 Pandemie, dass ich wieder einen Club betreten habe. Bis dahin hatte ich nicht gemerkt, wie sehr ich dieses beschriebene Gefühl vermisst habe und wie wichtig die Clubkultur Berlins für mich persönlich, aber eben vor allem für diese Stadt ist.

Das Besondere an der Berliner Clubkultur ist eben genau jenes Gefühl der absoluten Freiheit, welches man sich dort abholen kann. Nach einer langen Woche, in der man sich mit dem Ernst des Lebens auseinander setzen muss, bietet ein Besuch im Club vielen genau das, was sie als Ausgleich brauchen:

Einen Ort, um allen Sorgen und Zukunftsängsten zu entkommen, in dem es nur um das Hier und Jetzt geht.

In der Vielfältigkeit der Berliner Clubszene ist für jede*n etwas dabei: fast alle Musikrichtungen und Veranstaltungen sind hier vertreten – von Punkkonzerten in schmalen, engen Räumen mit 50 Menschen über Tanzabende zu RnB und Reggaeton auf mehreren Floors bis hin zu Massenveranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen, die zu Techno feiern im Berghain. Alle finden hier ihre Nische, dominant und besonders bekannt ist aber natürlich die Technoszene Berlins.

In dieser ist vor allem wichtig, dass scheinbar jede Person hier willkommen ist. Kaum jemand fällt in der schillernden Szene noch mit seinem*ihrem extravaganten Kleidungs- oder Tanzstil auf – und wenn dann nur positiv. Es ist ein Raum, in dem niemand verurteilt wird, jede Person sein kann, wer sie will und sich darin ausleben. Darin steckt die Möglichkeit der eigenen Selbstverwirklichung und des Austauschs mit anderen interessanten Personen, aber eben auch die Gefahr der Anonymität und Distanz.

Meistens habe ich bisher die Menschen in den Clubs als offen, tolerant und herzlich wahrgenommen, was ebenfalls wieder in dieses beschrieben Bild passt. Die Clubs sagen selbst, dass sie um dieses bestimmte Publikum zu wahren die für Berlin bekannte harte Tür ins Leben gerufen haben.

Und unter anderem darin beginnt sich ein Paradox in der Clubszene zu zeigen. Ein Raum, der absolute Freiheit und Selbstverwirklichung verspricht, allerdings eben doch nicht für alle zugänglich ist.
Zum einen wird damit versucht die tolerante und inklusive Atmosphäre in den Clubs zu schützen und zu bewahren, zum anderen exkludiert es eben auch. Leute, die nicht die ungeschrieben Regeln und Verhaltenskodizes kennen, finden oft keinen Einlass in diese Szene.
Und nicht nur das: auch in Berlin gibt es wie in anderen Städten immer wieder Fälle von rassistischer Diskriminierung an der Tür solcher Clubs.

Auch Fälle von sexualisierter Gewalt sind in Clubs vorhanden. Zwar kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung dafür sprechen, dass ich mich als Frau in Techno Clubs sicherer fühle und weniger unangenehme und übergriffe Begegnungen hatte als auf manchen anderen Veranstaltungen, aber das bedeutet natürlich nicht, dass sich dieses strukturelle Problem nicht auch dort zeigt (wenn auch versteckter).

Vor allem problematisch ist dabei aus meiner Sicht, dass dies eben nicht genug thematisiert wird. Da die Szene den Ruf hat besonders weltoffen und tolerant zu sein, werden diese Vorwürfe von sexistischen und rassistischen Fällen in meiner Perspektive oft vorschnell zurückgewiesen statt genauer zu untersuchen, wie man diese besser vorbeugen kann. Das lässt sich natürlich nicht nur über die Techno Szene, sondern fast die komplette Veranstaltungsbranche sagen. Einen guten Ansatz hatten zum Beispiel Events, die von dem (ehemaligen) DJ Duo Hoe_Mies organisiert wurden: Dort gab es Awareness Teams und es wurde versucht einen möglichst sicheren Raum für queere, weibliche Personen und BIPOC  zu schaffen.

Das letzte Paradox, über welches ich in der Szene oft staunen muss, ist das zum einen die Techno Szene eine sehr politische ist und zum anderen diese politische Haltung scheinbar komplett aufhört, wenn es um das Thema Drogen geht. Auf Techno Festivals wie der Fusion, wo tausende Menschen, die sich zu der Szene zählen, Jahr für Jahr anreisen, gibt es immer auch Infostände oder teils sogar Workshops zu (links-)politischen Themen. Es scheint so als würden die meisten Anwesenden einen Grundkonsens teilen, der sich in einer Haltung pro Klimaschutz, gegen menschenunwürdige Ausbeutung und pro Menschenrechte äußert. Dass auf dem gleichen Festival und in vielen Berliner Clubs durchaus eine große Menge an Drogen konsumiert wird, ist kein Geheimnis. Ebenfalls kein Geheimnis ist, dass für die Produktion dieser Drogen teils der Regenwald abgeholzt wird, Menschen immer wieder in ausbeuterische und gefährliche Arbeitsverhältnisse gebracht werden und es die Bewohner umliegender Orte sogar krank machen kann. Die Ekstase und das Freiheitsgefühl der Clubbesucher hat oftmals also einen teuren Preis, der nicht hier sondern in Ländern wie Kolumbien, Peru oder Bolivien gezahlt wird, wo das meiste Kokain produziert wird.

So hat also auch die Berliner Clubszene ihre verschiedenen Seiten und manche von diesen Widersprüchlichkeiten werden sich wahrscheinlich nicht auflösen lassen. Trotzdem muss man anerkennen, wie wichtig die Clubs für die Stadt sind. Nicht nur aus einer wirtschaftlichen Perspektive auf Grund von Jobs und Umsätzen und den Tourismus, der dadurch generiert wird, sondern auch aus einer identitätsstiftenden Perspektive. Die Stadt lebt unter anderem auch von und für die einzigartige Clubszene.

Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass von der Politik anerkannt wird, wie wichtig dieser Raum für viele Menschen ist und wie viel Freude, Freiheitsgefühl und Energie man aus den Momenten der Begegnung und Freiheit an einem Abend im Club ziehen kann. Von der Clubszene wünsche ich mir, dass sie sich nicht auf ihrer vermeintlichen Toleranz ausruht, sondern weiterhin reflektiert wie offen und zugänglich dieser Raum ist für alle Menschen und wie man ihn noch inklusiver und sicherer für alle gestalten kann.