Der Tod von Dschina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam entzündete eine Protestwelle, die niemand erwartet hat. Entschlossen stellen sich Frauen „Schulter an Schulter“ mit progressiven Männern gegen den repressiven Kurs der Religionswächter, sowie das islamische Herrschaftssystem, welches mit Gewalt und Unterdrückung antwortete. Es sind Bilder der Hoffnung und grenzenloser Mut, die Menschen auf der ganzen Welt erreichen und inspirieren. So auch im weit entfernten Berlin, wo seit Monaten in Solidarität mit der emanzipatorischen Frauenbewegung protestiert wird. Diese Fotoreportage dreht sich rund um eigene Erfahrungen auf den Protesten und persönlicher Auffassung.
Als vor zwei Monaten die Nachricht des Todes von Mahsa Amini um die Welt ging, habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Seit Jahren protestieren Frauen wie Mädchen im Iran für mehr Rechte/Freiheiten, sie werden jedoch unterdrückt. Das Fass ist nun aber regelrecht übergelaufen und hat die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten hervorgerufen. Schnell schwappte die Rebellion mit Hilfe von Social-Media über die Grenzen Irans hinaus, und ließ Menschen weltweit in Solidarität auf die Straßen gehen.
Nachdem Videos von leidenschaftlichen Aktivisten*innen, unter der Internetzäsur nun endlich die Sozialen Medien erreicht haben, wollte ich mir selbst ein Bild der Proteste in Berlin machen. Vor dem Brandenburger Tor versammelten sich hunderte von Menschen der lokalen Iran-Szene. Sie hinterließen eindrucksvolle Bilder, wie sich unter anderem Frauen aus Solidarität die Haare abschnitten. Anfangs verfolgte ich diese Wut über Twitter, recht schnell breitete sich eine Protestwelle über ganz Deutschland aus. Meine Beobachtungen fingen auf dem Nettelbeckplatz an, ein Podest, eine handvoll Menschen, friedlich, dann wurden es rapide mehr, hunderte von Menschen, mit Schildern, Plakaten und blutigen Bemalungen an den Händen und Füßen.
Der Ort, wo der Iran-Protest stattfand, war mir bekannt. Eine Querdenker Bewegung hatte diesen vor rund einem Jahr eingenommen. Damals noch mit Zulauf. Nun ist ein turbulentes Jahr vergangen und Menschen, die Solidarität mit Protestler:innen zeigen, welche wirklich Probleme haben, versammeln sich dort. Ich schlängelte mich durch den Protest, der mittlerweile auch an Lautstärke gewonnen hat. Menschen riefen „Hoch die internationale Solidarität“ und „Jin Jian Azadid“, was „Frauen, Leben, Freiheit“ bedeutet. Kurzzeitig gab es Tumulte durch nicht erwünschte Personen, wie einen Vertreter des iranischen Regimes, was den Protest in seiner Friedlichkeit dennoch kaum gestört hat. Die Bilder, die entstanden sind, sollen inspirieren, aber vor allem ermutigen, ein Versuch den Aktivisten und Aktivistinnen ein Gesicht geben.
Zugleich wurde für die frei sexuelle Entfaltung protestiert, denn erst kürzlich wurden zwei lesbische Aktivistinnen im Iran zu Tode verurteilt. Homosexualität ist im Iran verboten, was die zwei Frauen „befördert“ haben sollen. Laut der Menschenrechtsorganisation Hengaw wird den Frauen anwaltlicher Beistand vorenthalten -obendrein hätten Sicherheitskräfte sie vermehrt bedroht. Der Hass gegen queere Menschen ist weltweit ein Problem- „Queerfeindliche Gewalt ist eine Bedrohung, die tödlich enden kann“ wie es Sven Lehmann ausdrückte.
Die Medienpräsenz wie sie mir auffiel schwankte stark von Protest zu Protest. Wenn bekannte Gesichter der Szene oder Politiker:innen sprachen, war sie hoch. Wenn es „nur“ eine weitere Solidaritätsdemo ist, niedrig. Persönlich habe ich versucht die unterschiedlichen Protestformen, wenn es stiller wie laut, Bildhafter oder prominenter war, gesehen zu haben. Bis jetzt habe ich von den sicher schon hunderten Protesten, vielleicht eine handvoll besucht. Meist unterschiedlich in Größe und Form, hingegen immer mit dem gleichen Enthusiasmus der Menschen, niemals den Kampf aufzugeben.
Ende Oktober hatte das «Woman* Life Freedom Kollektiv» zu der „Freedom Rally“ in Berlin aufgerufen. Dutzende Reisebusse aus ganz Europa fanden sich entlang der Straße zur Siegessäule wieder. Leinwände wurden wie beim Public Viewing während WM-Zeiten mit Liveübertragung von der mehr als hundert Meter entfernten Hauptbühne aufgebaut. Dort redete unter anderem der bekannte iranische Aktivist Hamed Esmaeilion, welcher die internationale Staatengemeinschaft aufforderte, Verhandlungen mit dem Iran zu stoppen und Botschafter auszuweisen. «Wir alle haben Träume, und unsere Träume werden nur Wirklichkeit, wenn der Iran von den Fesseln einer islamischen Republik befreit wird», sagte der Aktivist unter dem Jubel von mehr als 80.000 Menschen.
Weltweit fordern die Demonstranten den Sturz des islamischen Regierungssystem, oder sogar den „Tod Chamenei“. Ali Chamenei hat durch seine Position als Oberster Religionsführer und Staatsoberhaupt Irans maßgebliche Entscheidungskraft. Er selbst betitelte die landesweiten Proteste als eine Verschwörung aus dem Ausland und antwortet mit unbeschreiblicher Gewalt, die bereits 378 Menschen das Leben gekostet hat. Laut Iran Human Rights Watch sind darunter mindestens 47 Kinder.
Der Kampf für Freiheit, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit stößt auf taube Ohren des Regimes, das unbeirrt seinen repressiven Kurs fortsetzt. Dies markiert nicht die Sinnlosigkeit der mutigen Proteste, sondern der sturen Regierung, die die Bevölkerung nicht mehr für sich gewinnen kann. Die Abschaffung der Sittenpolizei scheint ein Entgegenkommen zu sein, bei genauerem Hinsehen wohl mehr ein Ablenkungsmanöver. Denn die strengen Kleidungsvorschriften für Frauen wurden erst mit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 und dem Beginn der Herrschaft konservativer Rechtsgelehrten wieder eingeführt. Die Sittenpolizei folgte 2005, um die Vorschritten durchzusetzen und Verweigerer zu verhaften. Durch solche Propagandaspiele des Regimes lässt sich die Wut der Menschen im Iran nicht wegwischen. Schließlich haben die Behörden jüngst angekündigt, Urteile, darunter die Todesstrafe, gegen festgenommene Demonstranten bald umzusetzen. Die bekannte Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepehi, welche auch an der Großdemonstration in Berlin teilnahm, sagte hierzu dem Tagesspiegel: „Ich bin hier in Solidarität mit den Menschen im Iran, die für ihre Freiheit kämpfen, aber auch aus Protest vor dem Schweigen der Bundesregierung. Es wird immer noch nicht genug getan, um die Menschen im Iran aktiv zu unterstützen und das Regime richtig zu verurteilen”.
Die feministische Außenpolitik Annalena Baerbock´s scheint wohl an den Grenzen der Welt verloren zu gehen.