Heimat. Ein komischer und doch so vertraut Begriff. Wenn man Dr. google fragt, bekomt man folgende Definition aus gespuckt:

Wörterbuch
Hei·mat
Substantiv, feminin [die] 1.
Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)
„München ist seine Heimat“
2.
Ursprungs-, Herkunftsland eines Tiers, einer Pflanze, eines Erzeugnisses, einer Technik o. Ä.
„die Heimat dieser Fichte ist Amerika“
Definitionen von Oxford Languages

Aber was ist, wenn man das eben nie hatte? Genau darum soll es in diesem Artikel gehen .

Nun ja, wir alle wurde selbstverständlich irgendwo geboren und wir alle sind auch an einem Ort aufgewachsen. Aber reicht das aus, dass dieser Ort zur Heimat wird?

Bei mir war das nicht so. Als ich das erste Mal gehört habe, dass wir im Dezember über Heimat schreiben werden, wusste ich sehr lange nicht, worüber ich da schreiben soll. Das Einzige woran ich denken konnte, war an mein sechsjähriges Ich in der ersten Klasse, welches als es gefragt wurde” wo kommst du her?”, einfach nur Deutschland gesagt hat. Damals war ich sehr verwirrt, wieso meine Mitschüler mich so irritiert angeguckt haben.
Im Nachhinein ist es kein Wunder. Ich meine wie kann ich Deutsch sein, wenn meine Eltern und Großeltern, die mich jeden Tag von und zur Schule gebracht haben, höchstens Deutsch mit starkem russischen Akzent sprachen. Oder wie konnte es sein das ich deutsche war, aber mit meiner Familie nur auf Russisch sprach und die ganzen Feiertage und Kindersendungen nicht kannte.
Deshalb kam oft die Nachfrage:” Ja, aber wo kommen deine Eltern her?”. Das war nun das eigentliche Problem. Sollte ich jetzt sagen meine Eltern kommen aus Russland? Soll ich sagen wir sind Juden? Sollte ich sagen wir sind Sowjets? Oder sollte ich zwei Länder nennen, von den ich absolut keine Ahnung hatte und welche ich kaum aussprechen konnte. Gott sei Dank haben mich aber meine Eltern auf diese Frage vor meiner Einschulung vorbereitet.
Eines Abends setzte mich mein Vater hin und sagte auf Russisch zu mir:” So Sonnenschein, hör mir gut zu! Wir sind Juden und das ist unser größtes Geheimnis, welches niemand bei dir in der Schule herausfinden soll.”, “ Aber warum?” habe ich dann gefragt. Die Antwort meines Vaters war darauf immer unterschiedlich. Von du willst nicht anders sein bis hin zu es wäre ja gefährlich das zu sagen.
Meine ersten drei Schuljahre waren geprägt von Angst, dass jemand mein großes Geheimnis herausfindet. Aber bei er bloßen Frage woher ich komme blieb es nicht. Ich kann mich noch allzu gut an das Gespräch mit meiner Mutter erinnern, wo sie sich mit mir hingesetzt hat und sagte, ich müsse doppelt so viel arbeiten wie die anderen Kinder, da ich ja “ein Ausländer” wäre.
Also wenn man nach dem Ausschluss Prinzip vorgeht, bin ich also nicht Deutsch aber darf auch nicht sagen, dass ich Jude bin. Da bleibt nur noch Russland / Sowjetunion. Das hat auch einige Zeitlang funktioniert, schließlich bin ich in einem russisch dominierten Umfeld aufgewachsen .
Bis ich dann in der fünften Klasse meinen Eltern stolz verkündete, ich wäre Asiate. So weit hergeholt war es ja nicht… Russland liegt teilweise in Asien, zudem kommen meine Eltern kommen aus Asien (Azerbaijan und Usbekistan). Ihnen jedoch gefiel das so gar nicht. “Nein, du bist nicht Asiate”, kam die klare Antwort meiner Mutter . In dem Moment hab ich Sie angeguckt und verzweifelt gefragt: “Mama wer bin ich dann?”. “Jude.” ,war die knappe Antwort.
Aber was heißt es Jude zu sein, wenn seine ganze Geschichte dominiert ist von Verfolgung und Flucht? Wenn man in jedem Land, in das man kommt, immer Ausländer sein wird, weil die Eltern und deren Eltern irgendwo anders herkommen. Diese Antworte habe ich in der Synagoge gesucht und auch dort nicht gefunden. Ich konnte mich nie mit den Kindern dort identifizieren, obwohl es im Kindesalter noch nicht so schwer war da man mit den Gendernormen noch nicht so konfrontiert war und einfach Kind sein konnte. In der Grundschule wurde es immer schwerer, bis ich gar keine Freunde mehr hatte, da ich nicht den gesellschaftlichen Anforderungen entsprochen habe.
Die Unsicherheit wie auch die Unklarheit über meine Zugehörigkeit stiegen. Die Fragen wer ich bin und woher ich komme, habe ich versucht zu verdrängen. Jedoch war das relativ schwer, vor allem wenn ich neue Leute kennen gelernt habe. Ich hatte mir im endeffekt angewöhnt, einfach zu sagen dass ich Russe bin, weil es einfach war, obwohl ich mich selbst dabei nicht wohl fühlte.
Das alles wurde schlimmer mit der Realisation, dass ich auf Frauen stehe weswegen mich meine Eltern immer weniger akzeptierten. Zudem entsprachen meine schulischen Leistungen auch nicht gerade ihren hohen Ansprüchen. Das alles führte dazu, dass ich mit 16. aus dem Haus meiner Eltern auszog.
An dem ersten Abend weg von meine Eltern, an einem Ort den ich von nun an mein zu Hause nennen sollte, ist mir klar geworden, dass ich nicht einmal wusste was das genau heißen sollte…zu Hause. Ich habe bis dahin nie wirklich irgendwo reingepasst und habe den Erwartungen meiner Eltern nicht entsprechen können.
Über die letzten zwei Jahre habe ich immer mehr realisiert, dass ich genderfluid bin und tatsächlich nur auf Frauen stehe. Das führte dazu dass der Kontakt zu meiner Familie komplett abbrach. Mittlerweile wohne ich in einer anderen Stadt und habe meinen eigen Namen annehmen können. Wobei auch dieser Weg ein stiller und steiniger ist. Das Bewusstsein nicht im richtigen Körper zu sein und das Gefühl zu haben, nicht gut genug zu sein und nirgendwo rein zu passen plagen mich bis heute noch. Es gibt Tage an denen ich kaum in den Spiegel gucken kann.
Nun ja, also was ist Heimat nun letztendlich bedeutet, kann ich leider bis heute nicht ganz beantworten. Aber was ich weiß ist, dass ich meinen Platz auf dieser Erde noch suche und das Heimat nicht durch Familie oder Herkunft definiert werden sollte, sondern durch dich. Heimat sollte der Ort sein an dem du dich bedingungslos wohl fühlst und genauso akzeptiert wirst wie du bist. Ich hoffe diesen Gefühl irgendwann auch für mich zu finden