„Wir haben uns dazu entschieden, dich für die Studienstiftung des deutschen Volkes vorzuschlagen, herzlichen Glückwunsch!“ Mit diesen Worten informierte mich
mein Biolehrer auf meinem Abiball darüber, dass die Schulleitung und er für mich einen Schulvorschlag bei dem größten und ältesten Begabtenförderungswerk Deutschlands eingereicht hatten. Auf die anfängliche Freude folgten schnell Unsicherheit und Zweifel: Was genau kommt bei dem Auswahlverfahren auf mich zu? Schaffe ich das?
Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Wege, die in die Studienstiftung führen können: Zum einen können Schulleitungen und Professor*innen Abiturient*innen bzw. Studierende vorschlagen, sodass diese am Bewerbungsverfahren teilnehmen dürfen. Zum anderen gibt es für Studierende des ersten oder zweiten Fachsemesters die Möglichkeit, sich durch einen Auswahltest für das Bewerbungsverfahren zu qualifizieren. Dieses besteht in jedem Fall aus einem Auswahlwochenende mit Einzelgesprächen und Gruppendiskussionen. Wer dort besteht, darf sich auf eine finanzielle Förderung von mindestens 300 Euro im Monat sowie auf ein breites Angebot an Sommerakademien, Sprachkursen, Workshops und vielem mehr freuen.
Erste Schritte des Bewerbungsverfahrens
Im Juli 2024 erhielt ich per Post die Aufforderung, bis Ende September meine Bewerbungsunterlagen hochzuladen. Da alle, die diese Unterlagen einreichen, automatisch zu einem Auswahlwochenende eingeladen werden, dienen sie nicht zum „Aussortieren“ von Bewerbenden, sondern ermöglichen der Auswahlkommission, sich individuell auf die Aufnahmegespräche vorzubereiten. Die erforderlichen Unterlagen bestanden unter anderem aus einem Bewerbungsbogen mit Fragen zu persönlichen Interessen und einem ausformulierten Lebenslauf.
Vorbereitung des Vortrags für die Auswahltagung
Nach einer kurzen Bestätigung des Eingangs meiner Unterlagen hörte ich längere Zeit nichts mehr von der Studienstiftung, bis ich Mitte Dezember schließlich eine Email mit der Einladung zum Auswahlseminar für Studienanfänger*innen Anfang Februar bekam. Langsam wurde es also ernst. An diesem Wochenende hält jede*r einen siebenminütigen Vortrag über ein beliebiges Thema, worüber anschließend 13 Minuten lang in einer Gruppe diskutiert wird. Während der zwei Monate bis zur Auswahltagung notierte ich all meine Ideen zu möglichen Vortragsthemen, um eine möglichst gute Fragestellung zu finden.
Etwa fünf Tage vor dem Auswahlwochenende entschied ich mich für die Diskussionsfrage „Sollte Genome Editing in menschlichen Keimzellen erlaubt sein?“ und bereitete den Vortrag mit Hilfe von Karteikarten vor. Da in den Diskussionsgruppen Studierende aus allen möglichen Fachrichtungen sitzen, erklärte ich möglichst anschaulich, was Genome Editing ist und welche Folgen es hätte. Dabei achtete ich darauf, bereits genügend Inhalt für mögliche Pro- und Kontra-Argumente miteinzubeziehen, die meine Gruppe in der anschließenden Diskussion aufgreifen kann.
Besonderen Respekt hatte ich vor dem Moderieren der Diskussion zu meinem Thema, weshalb ich eine Tabelle mit Argumenten für beide Seiten erstellte, um einen besseren Überblick über das Thema zu erhalten und um mir vor Augen zu führen, welche kritischen Gegenfragen ich stellen könnte. Außerdem überlegte ich mir einige Fragen, um die Diskussion in eine bestimmte Richtung lenken zu können, zum Beispiel: „Nehmen wir an, Genome Editing wäre auf wissenschaftlicher Ebene eine zu hundert Prozent sichere Methode, wie würdet ihr dann zu der Frage stehen?“
Um zu üben und um Feedback zu bekommen, hielt ich den Vortrag vor meiner Familie und bat sie, über das Thema zu diskutieren. Zudem ließ ich ChatGPT eine mögliche Diskussion zu dem Thema simulieren, in der ich der Moderator war und entsprechend auf die Beiträge reagieren musste.
Vorbereitung auf die Einzelgespräche
Neben dem Halten eines Vortrags und dem Moderieren einer Gruppendiskussion wusste ich, dass zwei Einzelgespräche à 30 Minuten auf mich zukommen würden. Zur Vorbereitung las ich mir meinen ausformulierten Lebenslauf und den ausgefüllten Fragebogen noch einmal durch und überlegte, ob ich zu jedem Punkt erklären konnte, warum ich mich so entschieden habe und welchen Mehrwert dies für mich hatte. Eine weitere Vorbereitung war nicht nötig, weil die Fragen der Auswahlkommission nicht vorhersehbar sind und deshalb nicht vorbereitet werden können.
Tag 1 des Auswahlseminars – erstes Kennenlernen
Freitags begann das Auswahlseminar abends entspannt mit einem gemeinsamen Abendessen im Hostel, bei dem ich die anderen Bewerbenden kennenlernen durfte. Insgesamt waren es knapp 50 Studienanfänger, die alle einen sehr netten und offenen Eindruck machten. Von einem Konkurrenzdruck war nichts zu spüren, was wohl auch daran lag, dass die Studienstiftung keine feste Aufnahmequote hat, sondern alle überzeugenden Bewerbenden annimmt. Nach dem Abendessen gab es eine kleine Informationsveranstaltung, in der die ideelle Förderung der Studienstiftung präsentiert wurde. Zudem stellten sich die acht Kommissionsmitglieder vor, die alle aus ganz verschiedenen Fachbereichen kamen und ebenfalls sehr freundlich wirkten. Im Laufe des Wochenendes wurden alle Kandidat*innen von drei verschiedenen Kommissionsmitgliedern bewertet: Von einem während der Gruppendiskussionen, von einem anderen während des ersten Einzelgesprächs und von einem weiteren beim zweiten Einzelgespräch.
Nach diesem offiziellen Teil stellte sich ein Stipendiat der Studienstiftung zur Verfügung, um all unsere Fragen zu beantworten. Anschließend hatten wir Zeit, um uns in unseren Gruppen zusammenzufinden, mit denen wir am nächsten Tag die Gruppendiskussionen durchführen würden. Das empfand ich als sehr hilfreich, weil wir uns so schon einmal kennenlernen und einen Überblick über die Diskussionsthemen erhalten konnten.
Tag 2 des Auswahlseminars – Gruppendiskussionen und erstes Einzelgespräch
Am nächsten Tag begann um 8.30 Uhr die erste Gruppendiskussion unserer Sechsergruppe. Wir waren sehr aufgeregt, aber stellten schnell fest, dass alles dafür getan wurde, um das Auswahlseminar so angenehm wie möglich zu gestalten.
So saßen wir zum Beispiel an einem Gruppentisch, während das Kommissionsmitglied etwas abseits Platz genommen hatte, sodass wir uns ganz auf unsere Diskussion fokussieren konnten. Zwischendurch vergaß ich sogar, dass es sich nicht um eine normale Diskussion zwischen Freunden, sondern um eine Aufnahmeprüfung handelte, weil es so viel Spaß machte, über all die verschiedenen Themen zu diskutieren. Diskussionsfragen der anderen Personen waren zum Beispiel „Sollten Zoos in Deutschland abgeschafft werden?“, „Sollten einzelne Schulfächer gegen Schülerwettbewerbe ausgetauscht werden dürfen?“ oder „Sollte die Atomkraft in Deutschland wieder eingeführt werden?“. Wir alle achteten dabei darauf, dass alle Gruppenmitglieder etwa gleich oft zu Wort kamen. Wer etwas sagen wollte, verdeutlichte das mit einem Handzeichen und konnte dann von der moderierenden Person drangenommen werden. So erreichten wir eine gute Struktur in unseren Diskussionen.
Es wurde von uns erwartet, dass wir mit unserem Handy selbst die Zeit stoppten, wobei es nicht schlimm war, wenn es Abweichungen von 30 Sekunden oder einer Minute gab. So hatte ich genügend Zeit, um nach Ablaufen der 13 Minuten die Diskussion zu einem abgerundeten Schluss zu führen.
Bis 17.50 Uhr nahm ich an insgesamt sechs Gruppendiskussionen teil, von denen ich eine selbst moderierte, und fand, dass es deutlich entspannter war, als ich es mir vorgestellt hatte. Allerdings empfand ich es als sehr anstrengend, dass wir häufig eine halbe Stunde oder länger Pause hatten, während andere Personen ihr Einzelgespräch hatten. Dadurch zog sich die Anspannung über den ganzen Tag.
Als ich gegen 17 Uhr endlich mein erstes Einzelgespräch hatte, war ich erneut positiv überrascht davon, wie locker es verlief. Das Kommissionsmitglied zeigte echtes Interesse an mir und meinem Engagement, sodass es sich die meiste Zeit wie ein ganz normales Gespräch anfühlte. Ich merkte, dass die Stiftung vor allem meine Persönlichkeit, Motivation und Interessen kennenlernen wollte. Ich sollte zum Beispiel erzählen, warum ich mich für meinen Studiengang entschieden hatte und welches ehrenamtliche Engagement ich ausübe. Ein paar Fragen waren unvorhersehbar, zum Beispiel „Gibt es Ihrer Meinung nach Gemeinsamkeiten zwischen der Biologie und der Philosophie?“, „Warum haben ältere Menschen verlernt, Fragen zu stellen?“ oder „Wenn Sie einen internationalen wissenschaftlichen Kongress organisieren müssten, wie würden Sie das tun?“. Andere Bewerbende mussten beispielsweise das Logo der Studienstiftung interpretieren. Das zeigt, dass eine umfassende Vorbereitung auf das Einzelgespräch kaum möglich ist – vielmehr möchte das Kommissionsmitglied möchte sehen, wie man spontan auf unerwartete Fragen reagiert und mit Stress umgeht.
Tag 3 – Zweites Einzelgespräch
Am Sonntag gegen 11 Uhr hatte ich mein zweites Einzelgespräch, das sich nicht wie ein entspanntes Gespräch, sondern eher wie ein Verhör anfühlte, weil das Kommissionsmitglied nicht auf meine Aussagen reagierte, sondern direkt zur nächsten Frage überging. Ich wurde zum Beispiel nach meiner Meinung zu einem möglichen AfD-Verbot gefragt, und als ich bei der Antwort das Thema Bildung ansprach, sollte ich konkret erläutern, was ich am Bildungssystem und speziell im Geschichtsunterricht verändern würde. Das zeigte mir, dass ich das Gespräch durch meine Antworten selbst mitsteuern konnte. Außerdem wurden auch in diesem Gespräch Fragen zu meinem Lebenslauf, zum Beispiel zu Auslandsaufenthalten und zu meinem Studium, gestellt. Wichtig ist, dass es bei Studienanfängern keine inhaltliche Abfrage zum Studium gibt, stattdessen geht es um Erwartungen an Studium und Beruf.
Nach der Auswahltagung
Nach meinem Einzelgespräch reiste ich ab und fand, dass das Wochenende unabhängig vom Ausgang der Bewerbung eine wertvolle Erfahrung mit vielen tollen Gesprächen und interessanten Persönlichkeiten gewesen war. Ob meine Bewerbung erfolgreich war, wusste ich noch nicht. Ich zweifelte an einen möglichen Erfolg, denn auf der einen Seite fielen mir viele Punkte ein, die gut gelaufen waren, auf der anderen Seite wusste ich jedoch, dass man von den insgesamt drei Kommissionsmitglieder mindestens zwei von sich überzeugen musste, um angenommen zu werden. Das verunsicherte mich, denn ich sah bei beiden Gesprächen sowie bei meiner Moderation auch kritische Punkte, die nicht optimal gelaufen waren.
Nach zweieinhalb Wochen Warten war es endlich so weit: Ich hielt einen großen Umschlag mit der Zusage für das Stipendium in den Händen und freute mich riesig darüber.
Ich kann eine Bewerbung bei der Studienstiftung des deutschen Volkes jedem ans Herz legen, der vielseitig interessiert und engagiert ist. Es gibt nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen.
Textquellen:
https://www.studienstiftung.de/kurzprofil
https://www.studienstiftung.de/infos-fuer-studierende-und-vorschlagende/ideelle-foerderung
https://www.studienstiftung.de/infos-fuer-studierende-und-vorschlagende/bewerbung-und-auswahl/selbstbewerbung-um-ein-stipendium-der-studienstiftung
https://www.studienstiftung.de/infos-fuer-studierende-und-vorschlagende/wen-wir-foerdern
Bildquellen:
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