In den Sommermonaten beginnen und enden, wie jedes Jahr, die Bewerbungszeiträume für Studiengänge verschiedenster Fachrichtungen. Viele Menschen sind in jungen Jahren aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage, ihr Abitur zu machen. Fehlende Reife, finanzielle Schwierigkeiten oder familiäre Verpflichtungen können Bildungswege unterbrechen. Ohne ein Abiturzeugnis oder eine vergleichbare Qualifikation bleiben ihnen die Türen der Universität zumeist verschlossen.

34,3 Prozent, also ein Drittel der deutschen Schüler:innen macht Abitur. Die meisten Schüler:innen beenden ihre Schullaufbahn mit dem Realschulabschluss, 43,5 Prozent. Aber was, wenn sich die Berufswünsche und Träume im Nachhinein noch ändern? Das fehlende Abiturzeugnis steht dann den großen und spätentdeckten Träumen von einem anderen Beruf oder einer neuen Karriere im Weg.

Es gibt drei Fernschulen in Deutschland, über die man das Abitur machen kann. Statistiken darüber, wie viele Menschen diesen Versuch wagen und dann auch bestehen, gibt es nicht. Dann gibt es noch die Möglichkeit einer Nichtschülerprüfung, ganz ohne die Hilfe einer Fernschule. Zumindest in Hessen hat diese Variante jedoch eine Durchfallquote von 62 Prozent, während die des regulären Abiturs Deutschlandweit bei etwa 5 Prozent liegt. Die geringe Erfolgsrate der schulfremden Abiturient:innen lässt sich auch damit erklären, dass diese acht Prüfungen ablegen müssen.

Aber es gibt noch eine weitere Möglichkeit, die oftmals übersehen wird – die Schulen des zweiten Bildungsweges, also Abendgymnasien und Kollegs. Die Informationen darüber erhielt ich vom Jobcenter und von der Website meiner Schule. Der Besuch einer solchen Schule wird, was viele ebenfalls nicht wissen, mit Bafög gefördert, wobei die Förderungsdauer je nach Bundesland variiert. Wenn man diesen Weg wählt, macht man das Abitur genau „wie alle anderen“, also in einer Turnhalle, zu den gleichen Terminen wie die Gymnasien, mit genau so vielen Fächern und fast den gleichen Regeln.

Zugegeben, es ist schwer. Alle Wege, das Abitur nach der regulären Schulzeit nachzuholen, haben hohe Abbruchquoten. Bei Erwachsenen ändert sich das Leben nun mal schneller als bei Jugendlichen, man wird Eltern, braucht plötzlich mehr Geld, die eigenen Eltern müssen gepflegt werden oder die Berufswünsche haben sich erneut geändert. Immerhin wird der Weg in in der Regel mit Schüler-Bafög gefördert, das nicht zurückgezahlt werden muss.

An meinem ersten Schultag saß ich in einem vollen Klassenzimmer, alle hatten Mäppchen, Blöcke und Hausaufgabenhefte aus ihren Rucksäcken geholt – ein Bild, das ich schon fast vergessen hatte und doch erschien es sofort wieder als normal. Stundenpläne wurden ausgeteilt, man unterhielt sich darüber, mit welchem Lehrer man Glück hatte und mit welchem nicht, wann die nächsten Ferien sind, welche Noten man braucht, um zu bestehen. Auch Kunstunterricht hatte ich nun wieder, ebenso wie Musikunterricht, Chemie und Physik, Mathe und Biologie. Sobald man, ganz wie am richtigen Gymnasium die Oberstufe erreicht, kann man in seiner Fächerwahl etwas freier entscheiden. Dann gilt auch das übliche Punktesystem bei der Bewertung und man muss, zumindest in Sachsen, zwei Leistungskurse wählen. Ebenso wie an regulären Gymnasien ist es in Sachsen Pflicht, das einer der Leistungskurse entweder Mathe oder Deutsch ist.

Vor allem Hausaufgaben in schreiblastigen Fächern nehmen viele Nachmittage in Anspruch, vor den Ferien sammeln sich die Klausurtermine, auch die Wochenenden sind oft voll verplant. Für diejenigen, die mit der mittleren Reife gestartet sind, dauert diese Bildungsreise erneute 3 Jahre. 3 Jahre voller Höhen und Tiefen, bei den meisten zumindest. Man hat schließlich nicht nur die alten Lieblingsfächer zurück, sondern lernt auch viele neue Inhalte kennen, die besonders in den Naturwissenschaften für nicht wenige Schüler zur Herausforderung werden. Aber man erlebt auch viele gewinnbringende Momente.

Eines ist mir früh aufgefallen – Diskussionen verlaufen deutlich anders, als man es von der Regelschule gewohnt war. Viele Schüler:innen haben schon feste, fundierte Weltbilder, die sie im Politikunterricht vertreten, oder sie haben etwa durch eine vorangegangene Ausbildung und Berufstätigkeit medizinisches Wissen erlangt, das ihnen im Biologieunterricht hilft. So sind auch Unterrichtsgespräche möglich, die weit über den Lehrplan hinausgehen und bleibende Eindrücke hinterlassen.

Dass man nicht auf dem „echten Gymnasium ist“, merkt man nicht nur in den Unterrichtsgesprächen. Viele Schüler:innen haben bereits Kinder, längere Berufstätigkeit hinter sich oder reden davon, dass ihre eigene Schulzeit schon volljährig sei. Auch mein eigener Bildungsweg verlief beschwerlich. Immer wieder hatte ich etwas neues angefangen und immer schien alles schief zu gehen – damit war es nach diesem Schritt dann aber vorbei.

Für viele eröffnen sich die neuen Berufsperspektiven und Wünsche auch erst während der neu begonnenen Schulzeit. Die wenigsten, die nach dem Besuch der klassischen Real- oder Oberschule eine Ausbildung begonnen, haben schließlich schon alle Studiengängen genauer angesehen. Bei vielen ändern sich die Pläne auch öfters, dennoch wird man es nie bereut haben, die Chance genutzt zu haben, ist man doch mit einem guten Abitur in seiner Berufsplanung fast völlig frei. Auch Ausbildungen können mit dem Abitur in vielen Fällen verkürzt werden, wenn man doch nicht studieren möchte. Die Überlegung lohnt sich also für alle, die einen Neuanfang wagen wollen.




Add Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert