Keine Liebe funktioniert bedingungslos. Aber wenn Paare in zwei verschiedenen Ländern leben, stehen sie vor intensiveren Herausforderungen. Tobias hat uns erzählt, wie seine Fernbeziehung sich und seine Vorstellungen von Heimat beeinflusst hat.
Es ist kühl Mitte August, als er den Schlüssel ins Schloss steckt. Vielleicht ein Gefühl von Zuhause, vielleicht auch ein Gefühl von Befremdung. Seine Miene gibt es nicht preis. Eher wirken seine Gesichtszüge verärgert. „Sie hat wohl doch nicht regelmäßig geleert“, murmelt er in seine Jacke, als er Reklame, nach Brief, nach Rechnung aus dem Postkasten zieht. Tobias ist wieder in seinem Apartment in Köln angekommen. Insgesamt eine Stunde Flug hat er hinter sich gelassen, um seine Schuhe auf den dunklen Holzboden in den schmalen Flur seiner 30 Quadratmeter Heimat zu stellen. Einer von zweien.
Seit über zwei Jahren pendelt er im regelmäßigen Rhythmus zwischen Großbritannien und Deutschland. So lange sind sie schon ein Paar. Sie hatten sich damals über Tinder kennengelernt, als sie für ein Auslandssemester nach Köln gekommen war. Es entstand eine Beziehung, die es ohne Erasmus nicht gegeben hätte und dennoch zog sie bereits drei Wochen später bei dem 22-Jährigen ein. Inzwischen ist sie zurück in London und er nun wieder in Köln. Beide trennen 496 Kilometer Luftlinie. „Geplant hat es keiner. Das ist immer das unangenehme bei solchen Beziehungen“, erzählt er, während er seinen schwarzen Koffer aufs Bett hebt. „Jede Beziehung, die Grenzen hat, ist immer kompliziert“.
Fast jeder Zweite mit Fernbeziehung
Dabei ist die Geschichte von Tobias und seiner Bethany keine Seltenheit. Laut einer bevölkerungsrepräsentativen Studie von Elite Partner aus dem Jahr 2019, lebten bereits 43 Prozent der Deutschen in einer Fernbeziehung. Gerade junge Menschen lieben besonders häufig auf Distanz. Bei den unter 30-Jährigen jeder Vierte.
Für viele Paare bleibt trotz Entfernung meist das Wochenende für Zweisamkeit. Bei Tobias hingegen sind es Abschnitte über mehrere Wochen. „Zuletzt habe ich 8 Monate in England verbracht. Jetzt fliege ich erst wieder im Sommer“. Diese langen Zeiten sind das, was es laut dem Mediengestalter besonders schwierig macht. „Es ist immer ein Kulturschock, wenn Du aus dem Flieger steigst. Alles ist ungewohnt und andere Normen prasseln auf Dich ein.“
Er greift nach dem auffällig orangefarbenen Flugticket. Es ist das Erste, das Tobias in die Hände fällt, als er beginnt, seine Taschen zu leeren. Nur einen kurzen Blick lässt er über das Papier schweifen, ehe es auf das Sofa gleitet. „Es ist eine andere Heimat. Ich habe andere Erinnerungen und bin hier ein ganz anderer Mensch, mit anderen Zielen und einem anderen Charakter. Zumindest nach außen.“
„Ich lebe zwei Identitäten“
Es ist genau dieser Zustand, der ihm das Gefühl verleitet, nirgendwo zugehörig zu sein. Ein und derselbe Mensch mit seinem braunen Haar und seinem grauen Shirt. Und doch spricht er davon, noch vor wenigen Stunden ein völlig anderer gewesen zu sein: „Du kannst, wenn Du willst, eine ganz andere Person sein.“ Er berichtet vom Managen zweier Leben, während er abwechselnd nach diversen Stoffen greift. Erst Jeans, dann Baumwolle und zuletzt Papier. Die glänzende Oberfläche des Fotos reflektiert seinen gesenkten Blick: „Und das beeinflusst natürlich auch die Beziehung.“
Man pendele immer zwischen zwei Welten, die geprägt seien, von Missverständnissen. „Die Erwartungshaltungen sind einfach komplett andere. Deshalb musst Du Dich irgendwann entscheiden und die Beziehung auf einer Welt aufbauen.“ Am Ende bewirkt es genau das, wogegen er nun kämpft. „Man will das Beste aus beiden Welten haben.“ Tobias lässt das Foto der beiden aus seiner Hand zu der Reklame, den Briefen und den Rechnungen auf seinem Sofa gleiten. „Aber das wird es nie geben. Wenn ich in London bin, sind wir glücklich. Aber bin ich hier, sind wir nichts weiter als beste Freunde. Wo das hinführen wird, weiß ich nicht.“
Eine Woche nach dem Interview berichtet Tobias, dass beide nun einen anderen Weg gehen. Sie haben sich getrennt, aber werden Freunde bleiben. Möglicherweise ein Zeichen dafür, wieso man von Heimat selten in der Mehrzahl spricht.