Unwissenheit, organisatorischer Stress und eine verpasste Frist: Einen Monat zuvor hätte sich die 24-jährige Alice beim Konsulat zur Wahl registrieren müssen. Jetzt überlässt sie ihrer Schwester die Vollmacht, das Wahlrecht für sie auszuüben. Eine Hürde, die sie gerne auf sich nimmt, denn für Alice steht fest: Es sei immer wichtig zu wählen, doch selten hätte es so eine Dringlichkeit wie heute. Warum hat sie uns erzählt.
Alice ist eine von mehr als 20.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen mit französischem Pass. Als junge Studentin, dessen Familie nach wie vor in Frankreich lebt, zog sie ihr Interesse an der deutsch-französischen Beziehung für das Masterstudium nach Deutschland – in ein Land, auf das Präsidentschaftsanwärterin Marine Le Pen nicht gut zu sprechen ist. Sie werde die „französische Blindheit gegenüber Berlin“ beenden, die es unter Macron gegeben habe.
Trotzdem findet sie vor allem in der jungen Bevölkerung Frankreichs viele Unterstützer:innen. Gegenüber den Umfrageexpert:innen des Instituts Yougov gaben 56 Prozent der jungen französischen Wähler:innen zwischen 18 und 24 Jahren an, bei der Stichwahl zu Le Pen zu tendieren. Alice gehört somit zur Minderheit ihrer Altersklasse: „Die zweite Tour ist ganz klar Macron. Auf keinen Fall gebe ich meine Stimme der Le Pen“.
Alice, warum entscheidest Du Dich bei der Stichwahl für Macron und gegen Le Pen?
Für viele Franzosen ist es nicht mehr so „schlimm“, Marine Le Pen zu wählen, weil sie mit Zemmour jemanden noch extremeres in der Ideologie haben. Und das ist ein Problem. Es gibt immer mehr extremistisches Denken in der Gesellschaft. Sie ist sozusagen gegen das Ausland – ich lebe im Ausland – und diese Partei ist einfach rassistisch. Diese Frau teilt die französische Bevölkerung und es funktioniert. Und das ist das Schlimmste.
Deshalb wähle ich Macron, aber ich wähle ihn nicht für all seine Ideen. Macron ist auch nicht optimal, aber in allen Fällen besser als Le Pen.
Wie geht es dir dabei, wenn du hörst, dass die Mehrheit der jungen Französ:innen hinter Le Pen steht?
Ich bin enttäuscht und frage mich, ob die alle dumm sind *lacht*.
Warum betrifft es Dich so, obwohl Du in Deutschland lebst?
Ich bin Französin und es ist trotzdem mein Land, obwohl ich aktuell in Deutschland lebe. Ich bin immer noch mit Frankreich verbunden und wenn ich irgendwann Kinder habe, werden auch die trotzdem Franzosen sein. Außerdem glaube ich, dass alles, was in Frankreich passiert, auch Auswirkungen auf Deutschland hat.
Trotzdem habe ich nicht so viele persönliche Ängste, weil ich schon studiert habe und auch die deutsch-französische Unterstützung bekommen habe, die Le Pen möglicherweise abschaffen würde. Sonst bin ich vielleicht zum Glück nicht direkt betroffen.
Warum glaubst Du, entscheiden viele so?
Ich denke, das sind junge Menschen, die noch nie das Land verlassen und keine Weitsicht haben. Alleine können wir in Frankreich nicht so viel erreichen. Wir brauchen die EU, wir brauchen auch Deutschland und andere Länder.
Wenn viele der jungen Menschen so denken, dann gibt es ein Problem. Sie fühlen sich nicht unterstützt, sie haben nicht das Gefühl, als würde man ihnen zuhören. Sie sind so verzweifelt, dass sie dann mit Marine Le Pen den Extremismus wählen, weil sie sonst keine Hoffnung sehen und mit Marine haben sie diese Hoffnung.
Nicht nur bezüglich ihrer Aussagen gegenüber Deutschland geriet Le Pen hierzulande in Kritik. Auch wird ihr – nicht zuletzt von Macron – eine Beziehung zu Russland vorgeworfen. Hat Dich das bei deiner Wahl beeinflusst?
Ganz ehrlich wusste ich das nicht, oder hatte es bisher verdrängt. Aber jetzt geht die Info wieder herum, dass auch ihre Kampagne 2017 von Pro-Russen finanziert wurde. Und das ist auch jetzt ein Grund mehr, nicht für sie zu wählen. Man weiß, was Russland im Moment mit der Ukraine macht und deshalb möchte ich das auf gar keinen Fall unterstützen.
Glaubst Du, dass es für einige der jungen Französ:innen ausschlaggebend für die Stimme sein wird?
Denke ich und hoffe ich.
Was würdest Du Dir von jungen Französ:innen in Deutschland wünschen?
Ich wünsche mir, dass sie natürlich für Macron wählen. Von den Politikern wünsche ich mir, dass sie die Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland stärken und beide Länder mehr zusammenarbeiten.
Man ist sonst aber auch schon sehr gut unterstützt. Diese deutsch-französischen Programme finde ich sehr gut und wenn es so bleibt oder sich weiterentwickelt, wäre es sehr schön.
Das Interview wurde vor der Stichwahl am 24.04.2022 durchgeführt. Der Name der Protagonistin wurde verändert.