Mitglieder der Gruppe KiO Youth

“Wer bereit ist, zu leben, sollte überlegen, ob er auch bereit ist, zu geben”, sagt Rebecca Jung. Die 24-Jährige aus Gießen lebt seit elf Jahren mit einer Spenderleber und ist Sprecherin von KiO Youth, einer Gruppe von transplantierten Jugendlichen aus ganz Deutschland, die an den Verein „KiO – Kinderhilfe Organtransplantation“ angegliedert ist. Gemeinsam wollen sie darauf aufmerksam machen, dass das Thema “Organspende” uns alle angeht – auch vor allem in Corona-Zeiten.

Rebecca Jung, die Sprecherin von KiO Youth
Rebecca Jung erhielt vor elf Jahren eine Organspende und engagiert sich bei KiO Youth für organtransplantierte Jugendliche. (Foto: privat)

“Es gibt Leute, die sagen ‘Ich vermisse Konzerte, ich vermisse Festivals’, wo ich sage ‘Ich vermisse es, meine Freunde zu sehen’. Das ist was anderes, das lässt sich nicht unbedingt vergleichen”, erzählt Rebecca Jung. Damit ihr Körper die fremde Leber nicht abstößt, nimmt sie Medikamente, die ihr Immunsystem unterdrücken. Aus diesem Grund ist sie von Infektionskrankheiten stärker betroffen als Menschen, deren Immunsystem normal funktioniert. “Wenn man sich dann mal mit einer Erkältung ansteckt, dann ist man auch wirklich, wirklich krank.”

Seit einem Jahr wütet die Corona-Pandemie nun schon. Für Organtransplantierte wie Rebecca Jung gibt es nun zumindest endlich einen Lichtblick: (Volljährige) Menschen, die ein Spenderorgan bekommen haben, sollen beim Impfen als Teil der Prioritätsgruppe 2 bevorzugt an die Reihe kommen. Bis dahin können sie sich nur durch konsequente Isolation schützen. Rebecca schätzt, dass sie ihre Zeit momentan “zu 98 Prozent Zuhause” verbringt. Ihr Freund erledigt die Einkäufe, sie selbst verlässt das Haus nur für Spaziergänge. Auch vielen anderen transplantierten Jugendlichen gehe es so, erzählt sie.

Ein Treffpunkt für Gleichgesinnte

Der Verein KiO, für den Rebecca arbeitet, kann in diesen schwierigen Zeiten eine wichtige Anlaufstelle sein. KiO – der Name steht für “Kinderhilfe Organtransplantation” kümmert sich um transplantierte Kinder und Jugendliche sowie deren Familien. So leistet der Verein etwa finanzielle Hilfe, um Fahrten ins Krankenhaus zu bezahlen. Aber auch, wenn beispielsweise die Waschmaschine oder andere Haushaltsgeräte kaputt gehen, kann KiO die Familien unterstützen. “In Corona-Zeiten ist das noch mehr geworden, weil viele Familien in Kurzarbeit sind oder ihre Jobs verloren haben. Das merken wir daran, dass mehr Anträge bei uns eingehen”, erzählt Rebecca. Neben der finanziellen Hilfe bietet KiO eine Anlaufstelle für transplantierte Kinder und Jugendliche. Hier können sie sich bei Workshops und Ferienfreizeiten untereinander austauschen. “Die Möglichkeit hat man im Alltag oft nicht, da man als Transplantierter häufig auf seine Eltern angewiesen ist”, sagt Rebecca. Sie selbst ist über einen solchen Workshop auf den Verein gestoßen und engagiert sich seitdem dort. Als sich ihr Studium der Sozialen Arbeit dem Ende zuneigte, bot KiO ihr eine feste Stelle an. Seitdem ist sie dort für die Kommunikation zuständig.

Und nicht nur das: Mit “KiO Youth” hat der Verein im Jahr 2018 eine eigene Jugendgruppe ins Leben gerufen, die selbst Projekte auf die Beine stellt. Hier entscheiden die Jugendlichen selbst, wie sie auf das Thema “Organspende” aufmerksam machen möchten. Mitmachen können transplantierte Jugendliche aus ganz Deutschland im Alter von 18-26 Jahren. Rebecca ist die Sprecherin der Gruppe. Ein Highlight war für sie der “Tag der Organspende”, der jedes Jahr am ersten Samstag im Juni stattfindet – im Jahr 2020 natürlich nur virtuell. Den Aktionstag hat das KiO-Youth-Team genutzt, um in sozialen Netzwerken eine Themenwoche zu starten und an jedem Tag über einen Aspekt des Themas “Organspende” zu sprechen. KiO Youth bietet den Jugendlichen aber auch einen Raum zum Austausch über ihren Alltag. Hier ergeben sich viele Fragen wie: “Wie spreche ich das Thema in einer Beziehung an?” oder “Wie kann ich als Organtransplantierter arbeiten?” Auch das Erwachsenwerden an sich bringt oft viele Unsicherheiten mit sich, so Rebecca. Neue Ärzt*innen, mehr Verantwortung, mehr Selbstständigkeit. Auch in der Corona-Krise sucht KiO immer wieder neue Wege, um auf die Situation von Organtransplantierten aufmerksam zu machen. So hat der Verein mit dem “KiO Café” eine digitale Gesprächsplattform gestartet und das Team von KiO Youth nimmt beim Corza Medical Organspendelauf teil, der im April eigentlich in Mainz stattfinden sollte.

Mitglieder der Gruppe KiO Youth
In der Gruppe KiO Youth organisieren transplantierte Jugendliche aus ganz Deutschland regelmäßig Aktionen rund um die Organspende. (Foto: KiO Youth)
Organspender*innen werden dringend gesucht

Es sei wichtig, über das Thema zu sprechen, sagt Rebecca. Im vergangenen Jahr standen in ganz Deutschland etwa 9.000 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan – das können Herz, Niere, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse oder Darm sein, zudem könnten auch bestimmte Gewebeteile gespendet werden. 913 Organspenden wurden im Jahr 2020 in Deutschland durchgeführt – oder, wie Rebecca es formuliert: “Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass man auf Spenderorgane angewiesen ist, als dass man selbst spenden kann.” Sie ruft deshalb alle dazu auf, sich mit dem Thema “Organspende” auseinanderzusetzen und auch im Familien- und Freundeskreis darüber zu sprechen. “Wer bereit ist, zu leben, sollte auch darüber nachdenken, ob er bereit ist, zu geben.”

In Deutschland haben Menschen ab ihrem 16. Geburtstag die Möglichkeit, eine aktive Entscheidung für die Organspende im Organspendeausweis zu dokumentieren, bereits ab einem Alter von 14 Jahren kann man der Organspende aktiv widersprechen. Rebecca berichtet, dass viele der Jugendlichen, zu denen sie Kontakt hat, ihr Spenderorgan als ein Geschenk ansehen, auf das sie besonders aufpassen möchten. “Man weiß ‘Okay, das ist der Grund, warum es mir jetzt so gut geht und für jemand anderen war es ein Opfer.’ Es wäre respektlos sich selbst gegenüber, aber auch den Spenderinnen und Spendern gegenüber, da jetzt unvorsichtig mit umzugehen.” In Zeiten von Corona kann das jedoch eine Herausforderung sein.