Rund 265.000 Menschen in Deutschland sind trans* und benötigen neben Hormonen weitere medizinsiche Maßnahmen, heißt es auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität in Deutschland dgti e.V.. Wie ist das, 2021 trans* in Deutschland zu sein, kann Deutschland eine „Heimat“ sein?

Erst seit 2018 gilt Transgeschlechtlichkeit offiziell nicht mehr als Krankheit. Die WHO fasste in dem Jahr den Beschluss zur Änderung International Classification of Diseases, kurz ICD. Zum 1. Januar 2022 tritt der ICD-11 in Kraft. In der ICD-10 wird „Transsexualism“ noch unter „Gender identity disorders“ im Abschnitt „Mental and behavioural disorders“ gelistet. Transsexualismus als psychische Krankheit. In der Neufassung ist das anders: „Gender-incongruence“ taucht nun unter „Conditions related to sexual health“ auf.

Die internationale Organisation ILGA-Europe veranschaulicht auf ihrer Rainbow Europe Map die rechtliche Situation und das soziale Klima für LGBTI-Personen, basierend auf einer jährlichen Beurteilung der Menschenrechtslage für LGBTI-Personen in den europäischen Ländern. Deutschland rangiert hier in der Kategorie „Legal gender recognition and bodily“ auf Rang 16 von 49 europäischen Ländern. Malta, auf Platz 1, war das erste europäische Land, das Geschlechtsidentität als Diskriminierungsgrund in seiner Verfassung nennt. Um Namens- und Personenstand zu ändern, ist eine eidesstattliche Erklärung nötig. Doch wie sieht die rechtliche Situation in Deutschland aus?

Hierzulande gilt seit 1981 das Transsexuellengesetz, kurz TSG. Es schreibt unter anderem vor, dass zu einer Namens- und Personenstandsänderung ein Gerichtsverfahren und zwei psychologische Gutachten nötig sind. Das ist nicht nur teuer und zeitintensiv, sondern auch eine emotionale Belastung. Stattdessen soll ein Selbstbestimmungsgesetz kommen. Das würde bedeuten, dass ein Gang zum Standesamt und eine mündliche Absichtserklärung seitens der Betroffenen ausreichen, um eine Namens- und Personenstandsänderung durchzuführen.

Noch im Mai 2020 wurden die Entwürfe von FDP und Grünen zu einem Selbstbestimmungsgesetz mit großer Mehrheit im Bundestag abgelehnt, unter anderem von der Großen Koalition. In der Ampelkoaltion kommen nun genau die drei Parteien zusammen, die sich vor der Bundestagswahl für eine Reform des TSG ausgesprochen haben. Was bedeutet das für die Rechte transgeschlechtlicher Menschen? Im Sondierungspapier heißt es: „Wir wollen unsere Rechtsordnung der gesellschaftlichen Realität anpassen. Dazu werden wir u.a. das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin anpassen und beispielsweise Verantwortungsgemeinschaften bzw. einen Pakt für Zusammenleben möglich machen.“

Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP kündigt nun auch an: das Selbstbestimmungsgesetz wird kommen. Zudem möchte die Ampel Aufklärungs- und Beratungsangebote stärken und Verstöße gegen das Offenbarungsverbot mit höheren Strafen belegen.

Doch rechtliche Realitäten sind nur eine Seite der Medaille. Auch gesellschaftliche Realitäten spielen eine Rolle bei der Frage, was für eine Heimat Deutschland Transpersonen bietet. Patricia, Fynn und Noa erzählen, was es für sie bedeutet, in Deutschland trans* zu sein und welche Erwartungen sie an Politik und Gesellschaft haben.

Patricia (26), ist Studentin und Mitglied des Vereins „lauterjungs- und mädels e.V.“. Der Verein setzt sich für die LGBTQ*-Community in der Westpfalz ein.  Noa (17) ist Sanitäter:in in Nordrhein-Westfalen. Fynn (23) ist Erzieher in Rheinland-Pfalz.

Im Mai 2021 wurden die Vorschläge von FDP und Grünen, das TSG durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen im Bundestag abgelehnt. Wie stehst du zu dieser Entscheidung?

NOA Ich finde, das TSG sollte abgeschafft werden und durch ein freieres Gesetz ersetzt werden. Ich finde den Vorschlag der Grünen und der FDP für ein Selbstbestimmungsgesetz gut. Die Hürden für eine Namens- und Personenstandsänderung sollten wesentlich geringer sein.

PATRICIA Bei den Vorschlägen von FDP und Grünen handelt es sich um zwei verschiedene Vorschläge, mit nur leichten Abweichungen. Beide wurden von der großen Koalition abgelehnt. Einzelne Abgeordnete der Links-Partei haben auch dagegen gestimmt, was mich sehr enttäuscht hat. Anders als die SPD konnten die nicht sagen, wir sind in einer Koalition und müssen uns an die Koalitionsregeln halten. Das war auch ein Grund dafür, dass ich in diesem Jahr nicht die Linken, sondern die Grünen gewählt habe. Die Linke hat einfach sehr viele widersprüchliche Signale gesendet, was Queer-Themen angeht. Die SPD hat ja auch einen eigenen Gesetzesentwurf eingebracht. Der hätte die Gutachterregelung allerdings noch verschärft und hätte dem Ganzen von den Gesetzen her einen komischen Klang gegeben. Dann hätte man bei der Namensänderung ein ähnliches Prinzip bekommen, wie jetzt bei Schwangerschaftsabbrüchen, dass man zu so einer Beratung hätte gehen müssen. Der Vorschlag der SPD ging mir nicht weit genug, die Vorschläge von Grünen und FDP fand ich gut. Ich denke wir brauchen keinen Gutachter, egal welchen, die Leute sollen ihren Namen einfach ändern können, wie sie es möchten, gegen eine kleine Gebühr.

Nach dem TSG ist es in Deutschland nötig, zwei psychologische Gutachten vorzuweisen, bevor Vorname und Personenstand in offiziellen Dokumenten geändert werden können. Das Prinzip wird Gutachterprinzip genannt. Sinnvoll oder nicht sinnvoll?

NOA Ich habe bereits von vielen Psycholog:innen gehört, dass die gar nicht wirklich beurteilen können, ob eine Person nun endgültig ihre Geschlechtsidentität wechseln möchte. Ich denke viele Psycholog:innen sehen sich da eher in einer formellen Rolle. Wenn Leute die Transition rückgängig machen wollen, finde ich persönlich das aber auch gar nicht schlimm. Das kommt vor. Jeder sollte so leben, wie er am glücklichsten ist.

FYNN Ich denke, es kommt sehr auf die Gutachter an, die man hat. Ich habe mir welche empfehlen lassen und bin auch nur zu denen gegangen. Es gibt gravierende Unterschiede bei den Sachen, die gefragt werden. Bei Fragen, die ich für grenzüberschreitend halte, würde ich aber auch einfach sagen, dass ich die Frage unangebracht finde und sie nicht beantworte. Ich finde es halt eigentlich gut, dass es ‚überwacht‘ wird, dass das nicht einfach nur eine Idee ist. Ich kenne auch jemanden, der die Transition mit 13 gemacht hat und jetzt die Detransition macht. Da denke ich mir, da wurde vielleicht nicht genau geschaut. Letzten Endes muss das die Person aber doch selbst entscheiden. Es kann sich ja jeder Mensch selbst reflektieren.

PATRICIA Ich halte das Gutachterprinzip für komplett überflüssig. Solange die Person volljährig ist, sollte es auf jeden Fall möglich sein, Namens- und Personenstand einfach zu ändern. Ich war selbst bei zwei Gutachtern und beide haben gesagt, dass sie das Prinzip unnötig finden. Bei dem einen Gutachter habe ich 800 Euro gelassen, bei dem anderen 600. Zu den 1400 Euro für die Gutachten kamen dann noch die Gerichtskosten und die Gebühren für die Änderung der amtlichen Dokumente.

PATRICIA Es gibt eine Gerichtsverhandlung. Die Richterin beauftragte zwei Gutachter:innen. Es gibt die Möglichkeit, Leute vorzuschlagen, aber die müssen nicht genommen werden. Ich habe zwei vorgeschlagen, beide wurden abgelehnt. Die die ich zugeteilt bekommen habe, da war einer in Frankfurt, einer in Köln. Da musste ich erstmal hinkommen, ich wohne in Kaiserslautern. Bei dem einen Gutachter war ich zwei Stunden lang. Es geht hier darum, ein paar Worte auf einem Stück Papier zu ändern, mehr nicht. Der hat mir so Fragen zu meinem Leben gestellt wie: „Wie war Ihre Kindheit?“, „Wie war Ihr Geschlechtsempfinden damals?“. Schließlich hat er in mein Gutachten geschrieben: Für meine Identität als Frau spricht, dass ich Ohrringe und eine Bluse trage und eine Handtasche dabeihabe. Was hat das denn mit dem Thema zu tun?! Ich habe Freundinnen, die tragen keine Ohrringe und keine Handtaschen. Muss ich die jetzt hierhinschicken, damit denen ihre Geschlechtsidentität aberkannt wird? Das ganze Gutachten war sehr stark auf Stereotypen basiert. Ich habe ihm dann natürlich nicht gesagt, dass ein Großteil meiner Interessen männlich konnotiert sind. So Sachen wie Programmieren. Ich habe ihn dann eher mit Sachen wie Shopping gefüttert. Das ist dann direkt auch in die Begutachtung eingeflossen. Das war dann schon recht lustig zu lesen, da ist so ein 60er Jahre Frauenbild mitgeschwungen. Der andere war lockerer, der meinte, wir wissen beide, warum Sie hier sind und was Sie möchten, also erzählen Sie mir einfach kurz etwas über ihr Leben.

Ich dachte mir nur: ändert doch bitte einfach meinen Namen. Ich habe mich ein bisschen verarscht gefühlt. Wir setzen uns als Community dafür ein, dass das Prinzip abgeschafft wird.

Also bringt das Gutachterprinzip auch gar nichts, um Menschen den Weg einer Transition mit anschließender Detransition zu ersparen?

PATRICIA Das Ironische ist: Falls ich meinen alten Namen und mein altes Geschlecht wieder haben wollte, wäre das einfach. Eine kurze schriftliche Mitteilung meinerseits reicht. Bei den Leuten, die eine Transition rückgängig machen, sind auch viele dabei, die die Detransition nicht deshalb wollen, weil sie merken, das war ein Fehler. Sondern weil sie bei ihrem gesellschaftlichen Umfeld sehr schlecht ankommen. Gerade in den USA hat man viele Fälle, wo Menschen ihren Job und ihre Freunde wegen der Transition verlieren. Die sagen sich dann, gut, ich lebe dann lieber im falschen Körper weiter und habe dafür mein früheres Umfeld. Andere Menschen, die eine Detransition hinter sich haben, meinten, sie könnten ihre Probleme mit einer Geschlechtsumwandlung lösen. Diese Leute meinten, Frauen kämen in der Gesellschaft besser an und daher sind sie gewechselt. Die haben dann nicht ganz verstanden, dass sie dann aber Transfrauen sind und keine Cisfrauen. Ob man überhaupt als Frau anerkannt wird, ist fraglich. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass das längst nicht überall der Fall ist. Außerdem ist die Transition extrem hart. Und dass Frauen es irgendwie leichter hätten, ist ein Vorurteil.

Am 1.1.2022 tritt die ICD-11 in Kraft. Was hältst du von der Neuerung?

FYNN Ich finde es generell nicht in Ordnung, dass Transgeschlechtlichkeit in einer Liste mit Krankheiten auftaucht. Das ist keine Krankheit, sondern ein physisches und psychisches Empfinden. Man kann Transgeschlechtlichkeit ja nicht mit einer Depression oder einer Essstörung vergleichen, da sind Welten dazwischen.

PATRICIA Das ist ein sehr großer Fortschritt. Dadurch, dass Transgeschlechtlichkeit als Krankheit klassifiziert wurde, gibt es natürlich zum einen die Möglichkeit, Hormone und Operationen von der Krankenkasse bezahlt zu bekommen. Auf der anderen Seite: eine Krankheit wird man idealerweise natürlich los. Wenn man Husten oder im Extremfall Krebs hat, möchte man gesund werden. Wenn ich jetzt sage, Transsexualität ist eine Krankheit, dann will ich diese Sache auch loswerden und das kann natürlich nicht das Ziel sein. Transgeschlechtlichkeit wird pathologisiert. Der große Fortschritt hier ist, dass nicht mehr die Transsexualität an sich als Krankheit gesehen wird, sondern die Effekte, die sich daraus ergeben. Wenn Transsexualität unter den mentalen Störungen gelistet wird, heißt das ja, das sei eine geistige Krankheit, man bilde sich das nur ein. Und dann kommt man zu ganz komischen Schlüssen, nach dem Motto man könne das ‚wegtherapieren‘. So denken manche Menschen heute ja immer noch.

Dass Transgeschlechtlichkeit als Krankheitsdiagnose gelistet wird, wird damit begründet, dass für viele trans*Personen damit erstmal ein Leidensdruck einher geht.

NOA Der Leidensdruck ist real, aber ich denke, der Leidensdruck entsteht gerade dadurch, dass man so hohe Hürden nehmen muss, um seine Geschlechtsidentität zu ändern. Stattdessen sollte man es den ‚Betroffenen‘ so leicht wie möglich machen, glücklicher zu werden. Und denen dann kein pathologisierendes Gutachten aufdrücken und ihnen ‚einreden‘, dass sie krank seien.  Wenn sich eine Person für geschlechtsangleichende Operationen entscheidet, finde ich es gut, dass diese dann von der Krankenkasse übernommen werden. Allerdings finde ich es fraglich, dass die Krankenkassen die Instanz sind, die die Gelder erstatten. Das empfinde ich als Pathologisierung.

Wie findest du die Bezeichnung „Geschlechterinkongruenz“?

NOA „Geschlechterinkongruenz“ klingt für mich sehr negativ. Ich finde Begriffe wie „Transidentität“ oder „Transgeschlechtlichkeit“ besser.

PATRICIA Ich bin kein so Begriffs-Mensch. Ich verwende die Wörter „Transgeschlechtlichkeit“, „Transsexualismus“ und „Transsexualität“ einfach austauschbar. „Geschlechterinkongruenz“ beschreibt das Phänomen auf jeden Fall auch. Wichtiger als der Begriff ist, dass die Bedeutung klar wird. Und die Bedeutung ist: eine Person fühlt sich in ihrem körperlichen Geschlecht unwohl. Und das ist bei mir so. Wenn mir jemand angeboten hätte, körperlich am anderen Geschlechterpol anzufangen, hätte ich das direkt gemacht. Ich habe schon viele Anstrengungen unternommen, aber manche körperlichen Merkmale lassen sich eben nicht mehr umkehren.

Die Rainbow Europe Map listet Deutschland in der Kategorie „Legal gender recognition and bodily“ auf Rang 16 von allen 49 europäischen Ländern. Was ist dein Eindruck, fühlst du dich in Deutschland als Transperson gut aufgehoben?

NOA Ich erlebe keine täglichen Anfeindungen oder ähnliches. Was die rechtliche Situation angeht, würde ich mich in anderen Ländern aber deutlich besser aufgehoben fühlen. Die Gesetzeslage ist noch zu überarbeiten.

FYNN Deutschland kann sehr viel verbessern. Das TSG finde ich einfach schwierig. Zudem kommt Aufklärung insgesamt in vielen sozialen Berufen zu kurz. Ich bin angehender Erzieher. Davor habe ich einen Bundesfreiwilligendienst gemacht, in einer Tagesförderstätte. Der Chef hat mich die ganze Zeit misgendert, weil noch mein Deadname in meinen Ausweisdokumenten stand. Es sollte Gang und Gäbe sein, dass es in sozialen Einrichtungen Aufklärungsangebote gibt. Gäbe es mehr Aufklärung, würden die Leute sensibler mit der Thematik umgehen.

PATRICIA Mit Deutschland bin ich relativ zufrieden. Aber Rang 16 heißt auch: es ist noch viel Luft nach oben. Wenn ich in Dänemark beispielsweise meinen Namen ändern will, dann kostet mich das einen Klick, eine Woche Wartezeit und umgerechnet etwa 20 Euro. In Deutschland kostet das sehr viel Arbeit, ein halbes Jahr Wartezeit und knapp 2000 Euro. In diesen Rankings geht es viel um legalistische Themen. Das ist aber nicht die einzige Dimension, die man beachten sollte. Malta war beispielsweise ursprünglich auf einem der hinteren Ränge, dann haben sie eine rechtliche Reform gemacht und stehen nun auf Platz eins. Das bedeutet ja aber nicht, dass die maltesische Gesellschaft besonders offen und tolerant ist. Es gibt eine Diskrepanz zwischen Verfassungsnorm und Verfassungsrealität. Ich bezweifle mal, dass ich in einem Land wie Malta besser Fuß fassen würde als in Deutschland.

Stößt du in Deutschland auf gesellschaftliche Akzeptanz?

NOA Grundsätzlich schon, ich lebe in einem sehr toleranten Umfeld, aber das ist natürlich nicht überall so. Ich habe leider auch schon negative Erfahrungen gemacht.

FYNN Das kommt darauf an. Ich habe zwei enge Freunde durch das Outing verloren. Die eine meinte, für mich warst du noch nie ein Junge. Sie wollte mich auch nicht Fynn nennen und hat den Kontakt abgebrochen. Das war für mich sehr schwierig. Aber du merkst dadurch auch, wer deine richtigen Freunde sind und die sind da eigentlich recht entspannt mit.

Meine Familie unterstützt mich gar nicht. Dazu muss ich sagen, meine Eltern sind beide Psychologen. Unter dem Aspekt finde ich es nochmal komischer, dass sie dafür kein Verständnis haben. Mit meinem Bruder habe ich jetzt auch gar keinen Kontakt mehr, weil er mich bei unserem letzten Treffen gefragt hat, weshalb ich denn Hormone brauche, um mich innerlich zufrieden zu fühlen. Man müsse sich doch äußerlich nicht ändern, um glücklich zu sein. Ich habe ihm dann erklärt, dass ich das eben anders sehe. Dadurch ist der Kontakt abgebrochen. Er findet, das wäre totaler Quatsch und hat die Hormone mit einer Schönheits-OP verglichen. Das eine hat gar nichts mit dem anderen zu tun. Meine Familie ist recht schwierig mit dem Thema, ich bin jetzt auch weiter weggezogen.

PATRICIA Grundsätzlich ist Akzeptanz vorhanden, aber da ist noch deutlich Platz nach oben. Seit meinem Coming-Out, das war 2015, habe ich recht wenige Probleme gehabt. Ich habe ein recht gutes Passing und werde daher selten dumm angemacht oder beleidigt. Das Problem ist eher, dass viele ‚Durchschnittsmenschen‘ komisch reagieren. Die wenigsten Menschen gehen her und sagen: „Du Arschloch. Ich kann dich nicht leiden, weil du transsexuell bist“. Das viel größere Problem, wenn man in der Gesellschaft Fuß fassen will, sind die Menschen, die sich denken: „Die ist komisch, mit der will ich nichts zu tun haben“. Wenn das nur zwei, drei Leute sind, ist mir das egal. Nur wenn das in konservativen Gegenden dreiviertel der Leute sind, hast du irgendwann ein Problem. Auch die Partnersuche ist dann schwieriger.

Woran denkst du liegt es, wenn Menschen mit Unverständnis oder Ablehnung reagieren?

FYNN Bei Eltern denke ich liegt es daran, dass sie sich viele Gedanken über die Zukunft machen. Und die sieht dann plötzlich ganz anders aus, als sie sich das vielleicht bisher vorgestellt haben. Meine Mutter meinte zum Beispiel, sie habe ja dann wohl 23 Jahre lang eine Lüge großgezogen. Und ich saß da, und dachte nur: krass. Für Eltern und Familie ist es vielleicht schwierig, wenn sie vor der Transition keine Anzeichen mitbekommen haben. Wenn mehr über Geschlechteridentitäten gesprochen würde, wäre vermutlich auch mehr Verständnis für die Betroffenen da. Warum es zum Beispiel nicht ok ist, jemanden darauf anzusprechen, warum man denn jetzt plötzlich einen Binder trägt, wenn man davor nie einen getragen hat. Zum Beispiel. So eine Frage hat mein Vater mir auch schon an den Kopf geworfen.

PATRICIA Die Hauptgründe: Unwissenheit, Vorurteile und Rasterdenken. Unser Verein „lauter Jungs und Mädels e.V.“  setzt genau da an. Wir gehen in die Schulen und leisten Aufklärung. Bis ich 20 war, wusste ich überhaupt nicht, was Transsexualität ist, dass man sein Geschlecht ändern kann. Und als ich das erfahren habe, habe ich es auch direkt gemacht.

Gibt es Situationen oder Orte, die du aufgrund deiner Transidentität meidest?

NOA Nein, nicht bewusst zumindest. Ich würde nicht in ein bestimmtes Land reisen oder nicht reisen, nur aufgrund der Rechtslage zu Transgeschlechtlichkeit. Ich finde es beschämend, dass es immer noch Länder gibt, die Gesetze gegen Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit, all so was, haben. Aber meiden und boykottieren bringt meiner Meinung nach nichts. Ich war beispielsweise auch schon in Namibia, dort steht auf Homosexualität eine Gefängnisstrafe, aber ich bin dennoch hingefahren. Mir fällt aber auf, dass ich in Gesprächen häufig andere Formulierungen wähle. Ich versuche immer sehr offen zu sein für andere Meinungen. Klar, Diskriminierung ist nicht schön, auch nicht durch Meinungen. Ich wurde zum Beispiel mal gefragt, ob ich nicht lieber zum Arzt gehen sollte. Das war in dieser Situation komisch, weil Transgeschlechtlichkeit ja keine Krankheit ist. Aber die Person hat sich in der Situation quasi aufklären lassen. Ich finde ein offenes Bewusstsein besser als aktives Meiden.

FYNN Zu den Situationen: wenn ich Menschen neu kennenlerne, stelle ich mich als Fynn vor und sage nicht mehr dazu, dass ich trans bin. Die meisten fragen dann auch gar nicht nach. Was Orte angeht: Für mich ist es eine Überwindung, aufs Männerklo zu gehen, weil ich immer darauf hoffen muss, dass eine Kabine frei ist. Wenn keine frei ist, stehe ich dort erstmal oder kann direkt wieder rausgehen. Da schauen dann schon mal welche blöd und fragen sich: Was ist denn mit dem los.

PATRICIA Wenn in Kaiserslautern ein Fußballspiel ist, würde ich nicht händchenhaltend durch die Stadt laufen. Als lesbische Transfrau hätte ich da Bedenken. Gerade wenn der FCK ein Spiel verloren hat, ist die Stimmung unter den Fans, die durch die Stadt ziehen, oft aggressiv. Meine Ex-Freundin, sie ist auch trans, kam aus Baden und wollte auch nur mit dem Zug zu mir fahren, wenn gerade kein Fußballspiel war. Auch im Zug waren viele angetrunkene Fußballfans, vor denen sie Angst hatte.

Ich würde auch nicht in der Umkleide im Fitnessstudio duschen gehen. Oder die Unterwäsche wechseln. Erstens möchte ich mich den Leuten nicht nackt zeigen. Außerdem wäre dann dort wahrscheinlich auch einiges los gewesen. Wir haben da ein älteres Publikum und vielleicht auch Leute mit Vorurteilen. Da habe ich schon Angst vor.

Spürst du einen gesellschaftlichen Druck zu Passing?

NOA Wenn man beispielsweise als männlich gelesene Person Nagellack trägt, in solchen Situationen merke ich immer wieder, wie fest Stereotype in der Gesellschaft verankert sind. Ich bekomme da schon hin und wieder irritierte Blicke. Ich drücke mich selbst nicht in irgendwelche Geschlechterrollen. Wenn Personen mich dann darauf ansprechen, zum Beispiel auf den Nagellack, erkläre ich denen, dass es eigentlich sehr schade ist, dass Dinge wie Nagellack oder so als stereotypisch weiblich gelten und dann bei Personen wie mir, die als männlich gelesen werden, für Irritationen sorgt.

FYNN Ich persönlich verspüre schon einen Druck, weil ich das Gefühl habe, dass ich nicht maskulin genug aussehe – ich fange im Dezember erst mit Testosteron an. Ich finde das schwierig, weil ich das Gefühl habe, dass ich nicht so aussehe, wie ich gesehen werden möchte. Mit den Hormonen denke ich, dass der Druck dann weniger wird. Oft sind Menschen irritiert von einer maskulin klingenden Stimme und dem noch auf dem Ausweis stehenden Deadname, was sich durch Testosteron endlich verändern wird.

PATRICIA Ich habe schon mitbekommen, dass Menschen sich über Transmänner aufgrund ihrer Körpergröße lustig gemacht haben. Oder weil der Bartwuchs noch nicht so ausgeprägt war. Ich habe auch eine transsexuelle Mitstudentin, die musste sich anhören, sie sähe als Frau scheiße aus, warum sie dann die Transition gemacht habe. Oder Leute kommen zu mir und sagen, ich wäre eine von den ‚gescheiten‘ transsexuellen Frauen. Da habe ich geantwortet: wieso sind Dinge wie lange Haare, Make-Up, schmale Figur deiner Meinung nach Pflicht? Da treten diese unterschwelligen Stereotype in der Gesellschaft zutage.

In der Transcommunity selbst gibt es diesen Druck aber überhaupt nicht. Die durchschnittliche Transfrau in Deutschland outet sich mit 37, bis dahin hat man schon einige körperliche Entwicklungen durchlaufen, die sich nicht rückgängig machen lassen. Breite Schultern, Körpergröße und so weiter. Das heißt, in der Community sind wir daran gewöhnt, dass wir ein ‚bunter Haufen‘ sind, es Leute mit besserem und schlechterem Passing gibt. Bei uns käme nie jemand auf die Idee zu sagen, schmink dich mal mehr, man sieht deinen Bart oder so. Das gilt jetzt für unsere Community in Rheinland-Pfalz.

Was ist zuerst da, die Akzeptanz von innen oder von außen? 

NOA Der erste Schritt ist immer, sich zu sich selber zu bekennen. Die Bestätigung von außen ist allerdings auch wichtig. Selbst merke ich das gerade, ich habe vor zwei, drei Monaten offiziell meinen Namen geändert und werde nun auch immer öfters mit meinem neuen Namen angesprochen. Jedes Mal merke ich, wie mich das bestärkt.

PATRICIA Seit ich 12 war, seit ich eine ungefähre Vorstellung des Begriffs „Geschlecht“ hatte, wusste ich, dass ich eine Frau bin. Die innere Akzeptanz war schon immer da. Ich dachte nur, ich muss mich damit abfinden. Andere Leute wären gerne Millionär oder 1,90m groß, damit sie Basketballprofi werden können, und ich wäre gerne eine Frau. Als ich gemerkt habe, das ist doch möglich, ich kann als Frau leben, habe ich direkt losgelegt. Innere Akzeptanz ist die Voraussetzung dafür, dass ich in der Gesellschaft ankomme und mich wohlfühlen kann. Ich bin sehr froh, dass ich mich akzeptiert habe, mit meinem Aussehen, meinem Charakter, meiner Transgeschlechtlichkeit.

Was ist dir sonst noch wichtig?

FYNN In Deutschland muss sich noch mega viel ändern. Für die nächste Generation würde ich mir sehr wünschen, dass das Selbstbestimmungsgesetz bald in Kraft tritt. Namens- und Personenstandsänderung nehme ich als einen sehr steinigen Weg wahr. Ich habe diesen Juni die Namens- und Personenstandsänderung beantragt und warte immer noch auf die Gerichtsanhörung. Beim Gericht erreicht man telefonisch auch niemanden.

Die Aufklärung muss vorangetrieben werden. Zum Beispiel durch ein Pflichtfach „sexuelle Orientierung“ in der Schule. In dem die Thematik souverän und verständlich erklärt wird. Ich finde gerade bei den Jugendlichen, den 13, 14-jährigen, ist kein Respekt vorhanden. Und ich denke, viele Transpersonen würden sich sicherer fühlen, wenn sie wüssten, die wurden schon darüber aufgeklärt und wissen, was das bedeutet. Man sollte lernen, wo die Grenzen sind, was man fragen kann. Aber auch aus der älteren Generation kommen häufig Fragen, wo ich mir denke, von Grenzen hast du auch noch nie was gehört.

PATRICIA Die TERF-Bewegung, die vor allem in Großbritannien aktiv ist, ist ein wachsendes Problem, auf das wir mit großer Sorge schauen. Sie wird von feministischen Frauen getragen, die Stimmung gegen Transfrauen machen. Die sagen dann, wenn man Frauen wie mich auf die Damentoilette gehen lässt, würde das zu sexuellen Übergriffen führen, man würde Schutzräume verlieren. Das ist nachweislich falsch, weil transsexuelle Frauen schon sehr lange die weibliche Toilette benutzen dürfen. Feminismus ist wertvoll und daher fänden wir es schade, wenn aus dieser Richtung zunehmend hässliche Kommentare kommen – gerade bei der Zeitschrift Emma finden sich zum Transsexualismus immer wieder solche Kommentare.