Schon einmal einen kickenden Schriftsteller gesehen? Kann nicht sein, denn um Bücher zu schreiben, muss man Wochen und Monate ohne Tageslicht am Schreibtisch verbringen? Dieses ist nur eines von vielen abgegriffenen Klischees, denen die deutsche Autorennationalmannschaft entgegen treten will. Ja, die gibt es tatsächlich – sie besteht aus verschiedenen deutschen Schriftstellern, die in verschiedenen Genres unterwegs sind, aber nebenbei eine Leidenschaft für Fußball teilen. Und ja, die kickenden Autoren tragen sogar Länderspiele aus.
Das Konzept einer Nationalmannschaft aus fußballbegeisterten Schriftstellern ist auch in anderen Ländern verbreitet und so bietet es sich an, die Frankfurter Buchmesse als Anlass für ein Länderspiel gegen die Autorennationalmannschaft des jeweiligen Gastlandes (sofern es über eine solche Manschaft verfügt) zu nehmen. Abseits des Platzes – genauer gesagt im LitCam-Kulturstadion in Halle 3.1 (Stand B.33) – wird munter philosophiert und aus eigenen Texten vorgelesen. Wenn auf der großen Fußballbühne nicht gerade ehemalige Größen wie Huub Stevens ihre Biografien vorstellen, sprechen hier die Mitglieder der „Autonama“, wie das Wortungetüm auch abgekürzt wird, mit ihren französischen Gästen.
Klaus Döring leitet das Gespräch. Er ist selbst erfolgreicher Drehbuchautor von Kinderfilmen wie „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ und hat lange aktiv in der Autonama gespielt. Schnell kommt die Diskussion in Anwesenheit der französischen Autoren Frédéric Gai und Yvan Gastaut auf die letzte Europameisterschaft, bei der Deutschland sich im Halbfinale ausgerechnet Gastgeber Frankreich geschlagen geben musste. Döring und seine Kollegen wollen aber lieber über etwas anderes reden: die Ausschreitunge gewalttätiger Hooligans, die großes mediales Aufsehen erregten. Yvan Gastaut war dabei, als sich im Stadion von Marseille russische Hooligans mit ihren englischen Gegnern prügelten. „Die haben innerhalb von Minuten alles kurz und klein geschlagen“, erinnert er sich. Es gab sogar Diskussionen , das russische Team aufgrund der Gewaltbereitschaft seiner Anhänger von der EM auszuschließen.
Der Journalist und Publizist Nik Afanasjew weiß, dass Bilder solcher Ausschreitungen von den Tätern selbst häufig relativiert werden. Er ist nach Russland gereist, um eine Reportage über den Hooligan Alexander Sprigin zu schreiben, der nach eigenen Angaben hauptberuflich als Vertreter der russischen Szene arbeitet. Natürlich war auch Sprigin bei der EM in Frankreich dabei. „Da waren 15.000 von uns und 250 haben sich halt daneben benommen“, hat er Nik Afanasjew gesagt. Ein paar Sätze später habe er die Frage gestellt, warum russische Hooligans sich nicht genauso prügeln dürften wie die Hooligans in anderen Ländern es früher getan haben, erklärt der Journalist. „Das ist ein ganz eigenes Gerechtigkeitsempfinden, das diese Leute haben.“
Frank Willmann, Fußballkolumnist und Autor mehrerer Bücher über Fankultur, warnt jedoch davor, die Hooligans mit der weitgehend friedlichen Ultra-Szene über einen Kamm zu scheren. „Hooligans messen sich intern untereinander durch gewalttätige Auseinandersetzungen. Die Ultras hingegen versuchen, ihren Verein zu unterstützen.“ Ihre Art der Unterstützung wird häufig kritisiert – so scheiden sich beim Thema Pyrotechnik im Stadion die Geister – jedoch sei die Szene an sich nicht gewaltorientiert, so Willmann. Und „Gewalt ist leider schon immer da gewesen, auch in den Dreißiger- und Vierzigerjahren gab es dieses Phänomen beim Fußball schon“, erklärt Yvan Gastaut. Außerdem würden mit den Emotionen der Fans auch Vorurteile hochkommen. „Da werden deutsche Spieler von französischen Fans schon mal als ‚boches‘ beschimpft – ein Schimpfwort, mit dem die Deutschen im Zweiten Weltkrieg belegt wurden“, erzählt Klaus Döring.
Für eine friedliche Fußballkultur einstehen und Vorurteile abbauen – das ist eines der Ziele, die die Autorennationalmannschaften weltweit verfolgen. Die Freundschaftsspiele gegen Autoen aus anderen Ländern sind eine gute Möglichkeit. Dennoch soll bei dem Kick am Samstagabend in Sossenheim nicht vergessen werden, dass ein Spiel 90 Minuten dauert und das Runde eben ins Eckige muss (um nur zwei willkürlich Beispiele abgegriffener Fußballphrasen zu zitieren). „Wenn die Schriftsteller auf den Platz gehen, gehen sie schon ziemlich hart ran“, erklärt Klaus Döring augenzwinkernd. Nach dem zu Tode zitierten Spruch der englischen Fußballegende Gary Lineker gewinnen am Ende immer die Deutschen. Ob das auch für fußballspielende Schriftsteller gilt?