Auf dem Wahlzettel werden am 26. September 47 Parteien stehen. Eine davon ist Volt. Wofür steht die Partei? Was lässt sie aus der Masse der Kleinparteien herausstechen? Und welche Chancen hat das deutsche Spitzenduo nachzulegen, nachdem Damian Boeselager 2019 aus dem Stand in das EU-Parlament eingezogen ist?
Was ist Volt?
Volt ist zunächst eine elektrische Maßeinheit, seit 2016 aber auch der Name einer paneuropäischen Partei, die neue Energie für ein geeintes Europa liefern will.
Das Brexit-Votum, die Wahl Donald Trumps, der global erstarkende Rechtspopulismus. Daraus zogen drei Freunde in einer Brüsseler WG vor etwa fünf Jahren eine Konsequenz: sie gründen Volt – als paneuropäische, progressive, politische Bewegung.
Schnell finden sich Unterstützer; ein Jahr dauert die Entwicklung eines 200-seitigen Grundsatzprogrammes. Nationale Verbände werden gegründet, schon bei der Europawahl 2019 steht Volt in acht Ländern auf dem Wahlzettel. Der deutsche Spitzenkandidat und Mitgründer Damian Boeselager schafft als erster und bislang einziger Volt-Abgeordneter den Sprung ins europäische Parlament.Volt ist auf europäischer Ebene als Bewegung präsent, auf nationaler Ebene als Partei, auf Landesebene existieren Regionalverbände.
„Wir denken wie eine Partei und handeln wie eine Bewegung“,
meint Friederike Schier, Vorstandsvorsitzende von Volt Deutschland in einer Videobotschaft der Partei.
Wofür steht die Partei?
Eine Partei, die in jedem EU-Land vertreten ist; eine Partei mit dem Ziel, dass nationale Parteien bald nicht mehr nötig sind.
„Wir wollen die europäische Republik“,
meint Rebekka Müller, Spitzenkandidatin für die kommende Bundestagswahl, im Interview mit Gabor Steingart. Für Volt heißt das: ein europäisches Parlament mit Initiativrecht; eine von diesem Parlament gewählte Regierung mitsamt Premierminister; eine europäische Verfassung und eine gemeinsame Außen- und Finanzpolitik.
Doch die Partei kann mehr als nur Europapolitik. Ihr Grundsatzprogramm deckt das gesamte Spektrum von Sozial-, über Klima- bis zu Wirtschaftspolitik ab. Volt möchte pragmatisch sein, sagt, Europa sei reich an funktionierenden Lösungen für die Probleme unserer Zeit. An diesen Best-Practise-Beispielen will sich die Partei orientieren. Estland soll als Vorbild für digitale Verwaltung dienen; Barcelona zeigt, wie nachhaltiges Bauen funktioniert; Kopenhagen, wie eine Fahrrad-freundliche Stadt auszusehen hat.
Einer Einordung in das klassische politische Spektrum, das zwischen „links“ und „rechts“ unterscheidet, verweigert sich Volt. Selbst betitelt sich die Partei als paneuropäisch, pragmatisch, progressiv, inklusiv. Volt verbinde soziale, liberale und grüne Inhalte, erklärt Rebekka Müller in einem Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche.
Wer steht für die Partei im Bundestagswahlkampf?
Rebekka Müller und Hans-Günther Brünker bilden das Spitzenduo.
Rebekka Müller, 32 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Berlin, jetzt sesshaft in Köln. Vor zwei Jahren wurde sie im Kölner Volt-Team aktiv; der Brexit, Trump und die sich verschärfende Klimakrise hätten sie dazu getrieben, schreibt Rebekka Müller in ihrem Steckbrief auf der Website von Volt Deutschland. Inzwischen leitet sie das Kölner Volt-Team, ehrenamtlich. Und das seit Anfang 2021 sogar in Vollzeit. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin war zuvor bereits in der Unternehmensberatung, der Industrie und zuletzt in der Reisebranche tätig.
Dr. Hans-Günther Brünker, 54 Jahre alt, studierte Chemie und Philosophie in Würzburg. Als Chemiker, Unternehmensberater und Gründer zweier Biotechnologie-Unternehmen tätig. Nach einem Zweitstudium in Köln Wechsel zur Schauspielerei. Derzeit einziger Abgeordneter der Volt-Partei im Bamberger Stadtrat. Brünker ist dort Sprecher für Wirtschaft, Europa und Digitalisierung.
Der Wahlkampf wird neben den Spitzenkandidaten durch die vielen Ortsverbände getragen. Auch fällt Volt durch ungewöhnliche Formate wie ein Kampagnenfestival oder Politik-Battles auf, die zum Mitmachen anregen sollen. Die mit klarer Schrift, knalligen Farben und Slogans wie „Digitales Lernen wie in Helsinki“ schmücken so manchen Laternenpfahl und werden von den Mitgliedern in ‚Plakatschlangen‘ durch die Straßen deutscher Großstädte getragen.
Welche Erfolge kann Volt vorweisen?
In den vier Jahren seit Parteigründung wurde einiges erreicht. Volt ist inzwischen in 31 Ländern aktiv, in 16 davon als registrierte Partei. Alle nationalen Verbände haben das gleiche Grundsatzprogramm. Europaweit hat Volt rund 25.000 Mitglieder. Mit einem Durchschnittsalter der Mitglieder von 33 Jahren ist die Partei vergleichsweise jung.
In ganz Europa bekleiden 65 Volt-Kandidaten politische Ämter. Seit diesem Jahr ist Volt Niederlande sogar mit drei Sitzen in der Tweede Kamer, dem niederländischen Parlament, vertreten. Mit Damian Boeselager sitzt nach wie vor ein Volt-Kandidat im europäischen Parlament und gestaltet als Teil der Fraktion Grüne/EFA europäische Politik.
In Deutschland hat Volt im Juli 2021 rund 2.400 Mitglieder und liegt damit unter anderem hinter der marxistisch-leninistischen Partei, der NPD oder WIR2020. Dennoch sind in mehreren deutschen Großstädten Volt-Kandidaten in den Stadtrat eingezogen und unter anderem in München, Köln, Bonn und Darmstadt auch in Regierungsverantwortung. In Deutschland beschränken sich die Wahlerfolge jedoch auf die alten Bundesländer. Im Osten ist Volt weit weniger präsent. Das läge zunächst am geografischen Ursprung der Partei, Brüssel, meint Professor Uwe Jun, Politikwissenschaftler und Dozent für Regierungslehre an der Universität Trier. Auch seien libertäre Werte, für die Volt eintritt, im Westen präsenter.
Nach der Bundestagswahl ist das nächste große Ziel die Europawahl 2024. Volt möchte mit 25 Abgeordneten, also mit Fraktionsstärke, ins europäische Parlament einziehen.
Welche Chancen hat Volt bei der Bundestagswahl?
Einen ersten Erfolg in Bezug auf die Bundestagswahl kann Volt Deutschland schon vorweisen. 2019, im Jahr der Europawahl, klagte die Partei vor dem Verwaltungsgericht in Köln gegen die Begrenzung der Wahl-O-Mat-Auswahl auf acht Parteien. Die Begründung: die Chancengleichheit sei nicht gewährleistet, kleinere Parteien würden benachteiligt. Die Klage hatte Erfolg. Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl vergleicht nun alle 39 Parteien, die die Wahl-O-Mat-Thesen beantwortet haben.
In Umfragen wird Volt als Kleinpartei zum grauen Balken „Sonstige“ gezählt. Entsprechend ehrgeizig ist das Ziel, im September in den Bundestag einziehen zu wollen. Nahezu unmöglich die Umsetzung, meint Parteienforscher Jun. In Wahlumfragen lag Volt bisher nie in Schlagweite der fünf Prozent. Auch eigne sich das Kernthema der Partei nur bedingt für den Bundestagswahlkampf.
„Europa ist in Deutschland kein emotionales Konfliktthema“,
so Professor Jun. Und solche Themen brauche es, um Wahlen zu gewinnen. Auch gelänge es den etablierten Parteien, diese Wahl zu einer Richtungswahl zu deklarieren. Das mindere die Bereitschaft, kleinere Parteien zu wählen.
Ein wichtiges Zwischenziel der Wahlkämpfer wäre, die 0,5 Prozent zu knacken, um einen Anspruch auf die staatliche Parteienfinanzierung zu haben. Bislang wird Volt durch Crowdfunding finanziert. Bei drei Prozent der Stimmen bekäme die Partei in Umfragen ihren eigenen lila Balken und verschwände nicht mehr im Grau der ‚Sonstigen‘.
Was können wir in Zukunft erwarten?
Volt hat zwei Alleinstellungsmerkmale, die paneuropäische Perspektive und die junge Zielgruppe, erklärt Professor Uwe Jun.
Die Grünen fordern eine „Föderale Europäische Republik“ und die FDP will einen „föderal und dezentral verfassten Europäischen Bundesstaat“ – Volt hat durchaus inhaltliche Überschneidungen mit den etablieren Parteien. Die Neuerung sei die Betrachtungsweise, so Jun. Nationale Parteien blickten von Berlin aus, Volt bewertet die Dinge aus Brüsseler Perspektive.
Themen wie Klima, Digitalisierung, Bildung oder europäische Integration, das Design der Wahlplakate und Mitmach-Kampagnen, aber auch die personellen Entscheidungen machen Volt nicht nur auf der Zeitachse zu einer jungen Partei. Politik für junge Menschen, der Generationenkonflikt, dass sei ein emotional aufgeladenes Thema in Deutschland, mit dem sich auch bei Wahlen eher punkten ließe, sagt der Politikwissenschaftler.
Volt hat also durchaus einen Neuigkeitswert und dadurch auch eine Daseinsberechtigung. Die Partei hat noch viel vor und schon viel erreicht. In der Versenkung verschwinden wird sie in den nächsten Jahren jedenfalls nicht.
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Die zitierten Publikationen zum Nachhören und Nachlesen:
- Rebekka Müller im Interview bei Gabor Steingart: https://www.thepioneer.de/originals/steingarts-morning-briefing/podcasts/wir-wollen-die-europaeische-republik
- Gastbeitrag der deutschen Spitzenkandidatin in der Wirtschaftswoche: https://www.wiwo.de/politik/deutschland/bundestagswahlkampf-gruen-und-liberal-ihre-suche-ist-beendet/27557852.html