Wir sind hier, wir sind laut – wir haben uns bei der Fahrraddemo von Fridays for Future umgeschaut.
Am 19. März haben wir die Demonstration des globalen Klima Streiks von Fridays for Future in Essen besucht. Dabei haben wir Interviews mit Anwesenden geführt und diese gefragt, weshalb sie demonstrieren gegangen sind. Wir wollen herausfinden, welche Forderungen hinter der global bekannten Klimabewegung stecken und wie es mit dem Klima während der Pandemie überhaupt steht.
Eine halbe Stunde vor Beginn erreichen wir den Willy-Brandt-Platz, von wo aus um 11 Uhr der Demozug losfahren soll. Ausgerüstet mit Mikros, FFP2-Masken und natürlich Fahrrädern verschaffen wir uns einen ersten Überblick der Demonstrierenden. Was sofort auffällt: Es sind bei weitem nicht nur Jugendliche auf Rädern, von Skateboarder:innen, Einradfahrer:innen, Eltern mit Kinderwagen auf Inlineskates bis hin zu den “Omas for Future” – hier hat sich ein bunter Haufen an verschiedensten Menschen zusammengefunden, aber alle mit dem gleichen Ziel. Oder?
Zunächst einmal zu Fridays for Future selbst. Unter dem Motto “No more empty promises” und dem Hashtag #allesFür1Komma5 finden weltweit Demonstrationen statt. Zentrale Forderungen der deutschen Organisationen sind dabei im Jahr 2035 Netto Null zu erreichen, das heißt keine Treibhausgasemissionen mehr auszustoßen (1), bis 2030 den Kohleausstieg durchzuführen und bis 2035 komplett auf erneuerbare Energien umzusteigen. Außerdem soll so bald wie möglich eine Verkehrswende umgesetzt werden – weniger Autos, mehr Busse, Bahnen und Fahrräder (2).
Aber wer steht hinter der Klimabewegung, wer hat sich in Essen zum Demonstrieren eingefunden und vor allem: Wieso?
Die dreizehnjährige Rebecca ist seit einem dreiviertel Jahr im Orga Team von Fridays for Future in Essen und gehört damit auf jeden fall zu den jüngeren Demonstrierenden. Zu jung aber auf keinen Fall, findet die Schülerin, die durch eine WhatsApp Gruppe in das Essener FFF Team gelangt ist. Ihrer Meinung nach soll die Politik die Bedenken junger Menschen ernster nehmen und härtere Konsequenzen ziehen – genau deshalb macht sie sich stark.
“Die Klimakrise macht ja auch keine Pause, nur weil wir in einer Pandemie sind”, erläutert sie und führt auf, dass die Corona Krise eigentlich, neben allen Herausforderungen, auch eine große Chance sein kann. Eine Chance, die ihrer Meinung nach, von der Politik nicht ergriffen wird. Genau jetzt sei die Zeit, Unternehmen nachhaltig umzustrukturieren und in eine klimaneutrale Zukunft zu investieren. Rebecca wünscht sich mehr Tatendrang, nicht nur von der Politik, sondern von jedem Einzelnen selbst.
Leon und Johannes, beide 23, sind mit Plakat und Bier zur Demo gekommen. “Bier=Welt, je wärmer desto schlechter” lautet der Schriftzug auf der braunen Pappe. Bei Fridays for Future waren die beiden vorher noch nicht. Trotzdem wollen sie nicht weiter tatenlos bleiben.
“Es fängt eben mit Kleinigkeiten an”, meint Leon, “Licht ausmachen, Heizung runterdrehen, Verpackungen vermeiden, weniger Fleisch essen – jeder kann seinen kleinen Beitrag für Nachhaltigkeit leisten”. “Genau”, ergänzt Johannes, “es ist aber gleichzeitig wichtig, Haltung zu zeigen und der Politik klarzumachen, dass wir einen Wandel brauchen.” Energiewende, Umstellung der Mobilität, das 1,5 Grad Ziel des Pariser Abkommens nennen die Beiden als zentrale Maßnahmen gegen die steigenden Temperaturen und CO2-Ausstöße.
Während der Demo selbst läuft laut Musik, meist geht es in den Songs um Themen wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit aber auch Antifaschismu. Sprüche werden aufgrund der Corona-Vorkehrungen und der dauerhaften Maskenpflicht kaum gerufen. Wir fahren rund zwei Stunden durch Essen, laut eigenen Aussagen der Ortsgruppe nehmen um die 350 Menschen an der Demo teil (4). Es geht vorbei an der Philharmonie, der Universität, am Folkwang Museum und am RWE Sitz. Dabei läuten die Fahrradklingeln, Passant:innen schießen Fotos, ein paar jubeln, ein paar verdrehen die Augen. Schlussendlich kommen wir wieder auf dem Willy-Brandt-Platz direkt am Hauptbahnhof an.
Wer vielen wohl während der Demo besonders ins Auge gefallen ist, ist der Einradfahrer Massi. Der 24-jährige hält ein Plakat mit dem schnörkeligen Schriftzug “Rebellion fürs Überleben” und ist in erster Linie bei Extinction Eebellion aktiv.
Extinction Rebellion ist eine Umweltschutzbewegung, die gegen jegliches Aussterben von Tieren, Pflanzen oder Lebensräumen, so wie gegen die möglichen Folgen des Klimawandels agiert. Dabei ist das Ziel, durch gewaltlosen zivilen Ungehorsam Maßnahmen seitens der Regierungen zu erzwingen (5).
Doch auch die Forderungen von Fridays von Future hält Massi für wichtig. “Die Klimakrise ist nun mal eine viel größere Krise als die Corona-Krise und wird auch in Zukunft viel extremere Auswirkungen haben”, stellt er fest. Wenn die Politik zu wenig handelt, müssen die Menschen die Dinge selber in die Hand nehmen, schließt er.
Schließlich haben wir mit Rolf Schwermer, 67, gesprochen. Er ist Mitglied bei Grannies for Future und setzt sich für einen lokalen Wandel in Essen ein. Er erklärt uns, dass die Stadt Essen Aktien des Konzerns RWE in Wert von 18,7 Mio€ besitzt. Damit unterstütze die Stadtverwaltung aktiv den “größten Klimakiller Europas”, so Schwermer.
RWE hat seinen Sitz in Essen und gehört zu den vier größten Energieversorgern Deutschlands. Dabei gerät das Elektrizitätswerk häufig in die Kritik. Der AG wird vorgeworfen, erneuerbare Energien nicht genügend zu fördern und zu sehr an konventionellen Energien, insbesondere Braunkohle, festzuhalten. Hambach, Garzweiler und Inden sind hierbei nur Beispiele von Orten, an welchen RWE Braunkohle abbaut. Damit ist der Konzern der deutschlandweit größte Nutzer von Braunkohle (6).
Im Jahr 2017 ist die Stadt Essen zur grünen Hauptstadt Europas gekürt worden. Die Entscheidung der Europäischen Kommission ist insbesondere mit dem Strukturwandel begründet worden, den Essen durch interkommunale Kooperationen vollzogen habe. Somit spiele Essen eine entscheidende Rolle als Vorbild für andere Städte Europas (7). In Schwermers Augen ist diese Bezeichnung jedoch nicht zutreffend.
Wir fragen ihn nach seinen konkreten Wünschen an die Politik. Er fordert von der Stadt Essen, die RWE Aktien umgehend zu verkaufen. Der Erlös soll dann in lokale Klimaschutzprogramme investiert werden. “Egal ob in den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und Fahrradwege, in energieeffizientes Wohnen oder einer allgemeinen Energiewende – in Essen gibt es noch einiges zu tun. Das ist das Mindeste, was wir verändern müssen, um den Titel “grüne Hauptstadt Europas” wirklich zu verdienen”.
Gegen 13 Uhr findet der Fahrrad-Streik ein Ende. Auf dem Willy-Brandt-Platz läuft noch eine Zeit lang Musik, ein paar Demonstrierende unterhalten sich, die Polizei spricht mit dem Orga-Team. Schließlich bleiben nur noch einige Kreide-Graffitis auf dem Boden mit dem Fridays for Future-Logo zurück.
Obwohl die Streiks bereits schon seit August 2018 laufen und nun auch noch eine Pandemie die Welt durchgerüttelt hat, gehen die Bestrebungen der Freitagsbewegungen also unermüdlich weiter. Ganz im Gegenteil aber – ziemlich ermüdet waren wir beide nach dem ganzen Fahrradfahren schon.
Wir sind hier, wir sind laut – ich war am Ende wirklich ausgelaugt.