Fasten, Beten und Feiern – statt in der Moschee dieses Mal zuhause. Nun zum zweiten Mal haben Muslim:innen weltweit Ramadan unter pandemischen Bedingungen gefeiert. Ich möchte wissen, welche Auswirkungen das Virus auf das religiöse Leben in Deutschland hat, wie sich das Fasten in Lockdown Zeiten gestaltet und mit welchem Gefühl muslimische Menschen diese Zeit betrachten. Ein Interview.

Aber zunächst erstmal zum Ramadan allgemein: Ramadan, was Arabisch für „Heißer Monat“ ist, bezeichnet den Fastenmonat im Islam. In dieser Zeit darf also, solange die Sonne scheint, weder gegessen noch getrunken werden. Außerdem soll auch auf schlechte Gewohnheiten, wie zum Beispiel das Rauchen oder Schimpfwörter, verzichtet werden. So sollen Muslim:innen ein größeres Empathie Gefühl für Ärmere entwickeln und selbst dankbarer für ihr Leben sein. Die Fastenzeit dient auch als Entgiftung von schädlichen Stoffen und steht daher symbolisch für das Loslassen vom Schlechten und einen Neubeginn.

Der Ramadan ist Teil der sogenannten fünf Säulen des Islams, welche die Kernbestandteile der Religion definieren. Daher gehört er zu den zentralen Pflichten der Gläubigen. Am Ende der Fastenzeit findet schließlich das Fest des Fastenbrechens, oder auch Zuckerfest genannt, statt. Dieses gilt als einer der wichtigsten muslimischen Feiertage. Dieses Jahr hat die Fastenzeit am 13. April begonnen, das Zuckerfest hat dementsprechend am 13. Mai stattgefunden.

Aber wie läuft ein solches Fest, das wie so viele andere vor allem durch den gemeinschaftlichen Aspekt lebt, in Corona Zeiten ab?

Ich habe mit Sercan, 17, über ihre Erfahrungen als Muslimin in Deutschland gesprochen. Sie erzählt mir von ihren letzten beiden Fastenzeiten, darüber, was es bedeutet, in Deutschland muslimisch zu sein und wie sie die Pandemie und ihre Religion unter einen Hut bekommt.


Welche Bedeutung haben religiöse Feste für dich und welche Rolle spielt Religion in deinem Leben?

S.: Religion spielt in meinem Leben durchaus eine wichtige Rolle. Meine Eltern haben mich zum Beispiel auch religiös erzogen und ich habe, seit ich klein bin, oft in die Moschee besucht. Dort habe ich Koranunterricht genommen, mir wurde also beigebracht, arabisch zu lesen und wir haben über die Schriften des Korans gesprochen. Außerdem wurde oft gemeinsam gebetet.
Im Ramadan faste ich mit meiner Familie, im Anschluss daran wird Bayram (türkisch für Fest, in diesem Fall ist das Zuckerfest gemeint) gefeiert.

Was hat sich in Bezug auf die Pandemie nun seit letztem Jahr geändert?

S.: Durch Corona hat sich definitiv sehr viel verändert. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, in der das Virus noch nicht existiert hat, dann fallen mir vor allem die Feste ein, die wir mit Familie und Freund:innen verbracht und gefeiert haben – gemeinsames Fastenbrechen, Essen und ausgelassene Gespräche. Wir haben uns auch viel ausgetauscht über unsere Erfahrungen während des Ramadans – wie schwierig war es dieses Jahr, was haben wir gelernt?
Aber all diese Dinge fehlen jetzt. Kein einziges Mal habe ich jemanden besucht, um mein Fasten zu brechen, sondern ich bin immer zu Hause geblieben. Dabei ist eigentlich das Schönste an der ganzen Fastenzeit eben der gemeinschaftliche Aspekt. Und das all dies seit letztem Jahr nicht mehr möglich ist, macht mich auch ehrlichgesagt ziemlich traurig. Momentan müssen ja ohnehin die meisten Menschen auf viele Kontakte verzichten, aber wenn dann auch noch Ramadan ist, ist das eben besonders hart.


Sercan erzählt mir viel über schöne Momente vergangener Feste und wie Religion in ihrem alltäglichen Leben aussieht.
Angefangen zu Fasten, hat sie in etwa mit 12, aber damals natürlich nicht komplett durchgefastet, sondern immer mal wieder ein paar Tage mitgemacht, soweit es eben ging. Mit dem Alter, erklärt sie, gewöhnt man sich schneller an den Verzicht und schafft auch ein größeres Bewusstsein für Dinge, die für viele Menschen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sind.

Danach erklärt sie mir den Ablauf von Bayram.
Es beginnt mit einem Morgengebet. Danach starten wichtige Vorbereitungen: Es wird gekocht, geputzt, alle bereiten sich auf das Fest vor. Ist alles erledigt, werden die Hände der Älteren, also zum Beispiel der Eltern oder Großeltern, geküsst. Man beglückwünscht sich und besucht nun Familie und Freund:innen, um gemeinsam die Fastenzeit ausklingen zu lassen.

Sercan berichtet mir, was seit der Pandemie anders läuft.
Das Fasten selber, erzählt sie, ist ihr in Corona Zeiten meist einfacher gefallen. Klar, kein Präsenzunterricht, keine Treffen, kein Sport – viele Hürden, die es vor Corona gab, sind nun deutlich leichter zu überwinden oder von vornerein gar nicht erst ein Problem.
Einen großen Einfluss auf das Fasten hat auch das Wetter und die Zeit, in der der Ramadan fällt. Jedes Jahr verschiebt sich der Fastenmonat um 10 Tage nach vorne. Das liegt daran, dass Ramadan nach dem islamischen Kalender ausgerichtet ist, welcher aus 355 Tagen besteht. Somit beginnt Ramadan nächstes Jahr schon am 3. April. Darüber hinaus verschiebt sich der Sonnenauf- und Untergang täglich um rund 5 Minuten.


Was ist dir im Laufe der derzeitigen Krise besonders aufgefallen?

S.: Zu Weihnachten wurde sehr darauf geachtet, dass die Regeln möglichst gelockert werden, damit die Menschen trotzdem feiern und sich auch außerhalb ihrer Familie treffen können. So eine Lockerung wäre für das Fastenbrechen gar nicht möglich, insbesondere wenn sogar Ausgangssperren in einigen Kommunen verhängt werden. Ich breche mein Fasten momentan gegen 21 Uhr, eine Ausgangssperre um 22 Uhr macht es daher so ziemlich unmöglich, das Fasten mit jemand anderem zu brechen, selbst wenn es sich nur um eine Person handelt.

Denkst du es ist Zufall, dass gerade jetzt, wo Ramadan begonnen hat, Ausgangssperren eintreten?

S.: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es beabsichtigt war, Muslim:innen ihre Fastenzeit so zu erschweren, aber zumindest ein zusätzlicher Faktor war es bestimmt. Vor Ramadan waren die Inzidenzen ja nicht wirklich niedriger. Ich denke, so wird versucht, große Treffen zum Fastenbrechen zu verhindern.

In so einem Moment merke ich dann schon, dass es manchmal doch einen Unterschied macht, dass ich nicht, wie die meisten Menschen in Deutschland, Christin bin. Ich wünschte, die Politik würde ein wenig mehr Rücksicht auf uns nehmen und verstehen, dass Ramadan für Muslim:innen eben genauso wichtig ist, wie Weihnachten für Christ:innen. Natürlich muss aber jede Lockerung gut durchdacht und abgewägt werden
Ich finde deswegen, dass sich beide Seiten entgegenkommen müssen. Wenn es Lockerungen gibt, muss auch Vertrauen in die Bevölkerung sein, verantwortungsvoll zu handeln und die Regeln nicht auszunutzen. Alles andere wäre einfach rücksichtslos gegenüber Risikopatient:innen oder Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Denn im Endeffekt bleibt immer sie Frage: viele Religionen, viele Feste, viele Lockerungen – ist das wirklich das Richtige?

Mal abgesehen von Corona: Wie ist es, in Deutschland Muslimin zu sein? Was waren deine Erfahrungen bisher? 

S.: Also ich muss sagen, im Ruhrgebiet und in NRW allgemein gibt es ziemlich viele Möglichkeiten, als muslimische Person ein religiöses Leben zu führen. Es gibt viele Moscheen, wo man gemeinsam beten und über die Religion sprechen und lernen kann. Somit lernt man auch viele andere Muslim:innen kennen.
Ich selber habe zum Glück noch nie die Erfahrung machen müssen, dass Menschen mich direkt diskriminiert oder rassistisch behandelt haben. Aber merkwürdige Blicke bekomme ich, wenn ich ein Kopftuch trage, um in die Moschee zu gehen, schon, vor allem als ich noch jünger war.

Im Endeffekt mach ich das aber für mich, ich mach das für meinen Glauben und da können mich auch keine unangemessenen Blicke oder Kommentare daran hindern.  

Ich weiß allerdings auch von Freund:innen, die bedeckt sind, also regelmäßig Kopftuch tragen, dass es oft nicht nur bei verurteilenden Blicken bleibt.
Außerdem stelle ich es mir deutlich schwieriger vor, wenn man als muslimische Person in ländlicheren Gegenden lebt oder allgemein in Bundesländern, in denen deutlich weniger Migrant:innen leben oder es kaum muslimische Communities gibt.

Würdest du also sagen, dass du Teil einer muslimischen Community oder Gemeinde bist?

S.: Ja, ich kenne viele aus meinem Umfeld, die auch Muslim:innen sind, mit denen ich mich über solche und andere Themen austauschen kann. Vor allem in der Fastenzeit ist es sehr praktisch, die Zeit nicht alleine durchstehen zu müssen, sondern sich gegenseitig zu motivieren. So habe ich die Möglichkeit, mit Anderen zu reden, wenn mir das Fasten an manchen Tagen mal sehr schwerfällt. Aber auch so habe ich sehr Glück mit meiner großen Familie, sodass ich selbst in Corona Zeiten zumindest meine Eltern und Geschwister habe. Wirklich ganz alleine Fasten zu brechen, stell ich mir nochmal ganz anders vor.

Gibt es sonst noch Gedanken, die du teilen möchtest?

S.: Ich denke, so oder so, waren die letzten beiden Fastenzeiten unter Corona- Bedingungen auf jeden Fall eine besondere Erfahrung.

Außerdem würde ich mir von nicht-muslimischen Menschen wünschen, auch unsere Stimmen zu hören und zu zeigen: Wir sind da und wir stehen hinter euch. Ich finde es erschreckend, wenn ich von islamfeindlichen und rassistischen Hasstaten lese oder mitbekomme, wie Politiker:innen für Gesetze plädieren, die klar antimuslimisch sind.

Aber davon abgesehen hoffe ich natürlich auch, dass nächstes Jahr Ramadan wieder wie gewohnt stattfinden kann.


Sercan und ich unterhalten uns noch lange, darüber wie ähnlich verschiedene Religionen in ihrem Kern doch sind und gleichzeitig was für unterschiedliche Erfahrungen und Verbindungen wir trotzdem zum Thema Glauben haben.

Aber wir beide sind uns einig: Es ist wirklich schade, dass Religion immer wieder ausgenutzt wurde und wird, um Hass und Konflikte voranzutreiben, dass Religion oft ein Mittel oder Ausdruck von Macht ist und Ungerechtigkeiten unterstützt. Nichtsdestotrotz gibt es so viele Menschen, die vergessen, dass man nicht alle Muslim:innen, oder allgemeiner Gläubige einer Religion, gleichsetzen kann. Unser Gespräch hat mir auch nochmal gezeigt, wie bunt, individuell und bereichernd Religion sein kann und dass es vor allem Gemeinschaft schaffen kann.

Nach dem Interview denke ich viel über mein eigenes Religionsverständnis nach. Ich bin zwar christlich aufgewachsen und habe zum Beispiel die Kommunion gemacht, aber bin ich auch wirklich christlich? Eigentlich würde ich mich insgesamt nicht als besonders religiös bezeichnen.

Im Endeffekt fällt mir aber wieder auf, dass ich trotzdem Glück hatte, Weihnachten letztes Jahr feiern zu können. Denn auch wenn ich eigentlich nicht wirklich christlich bin, Geschenke auspacken und Lebkuchen essen und Last Christmas auf Dauerschleife hören, das mach ich doch schon ganz gerne.

Schlussendlich bleibt für die Zukunft aber zumindest ein positiver Lichtblick, der auf ein mehr lebendiges und weniger pandemisches 2022 erhoffen lässt. Ein Jahr mit vollen Kinos, lauten Konzerten und eben einem ausgelassenem Fastenbrechen nach Ramadan.