Der Titel des Workshops Trialog über den Nahostkonflikt lässt mich anfangs vermuten, dass wir den historischen Hintergrund dieses Konflikts aufarbeiten würden. Der Hinweis der Referent:innen, dass der Workshop nicht die inhaltlichen Aspekte des israelisch-palästinensischen Konflikts beleuchtet, sondern nur mit Emotionen und Eindrücken arbeitet, verwundert mich. Ich frage mich, wie wir über ein solches hochaktuelles und komplexes Thema angemessen sprechen können, ohne auf dem gleichen Wissensstand zu sein.

Um mich herum sitzen die zwölf Teilnehmenden. Aus ihren Gesichtern lese ich angespannte Erwartung auf das, womit wir uns in den nächsten anderthalb Stunden beschäftigen. Zuerst teilen die beiden Referent:innen ihre persönliche Geschichte mit uns. Eine von ihnen wuchs als Deutsch-Israelin in Israel auf, der andere verbrachte seine Kindheit als Sohn eines Palästinensers in Deutschland. Es sind Geschichten von Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, von nie gekannten Familienmitgliedern und dem Gefühl, kein konstruktives Gespräch zu dem Thema führen zu können. Am Ende ihrer Schilderungen legt sich eine bedrückende Stille über den Raum. Nachdenklich und mit Bedacht beginnen auch die Jugendlichen, ihre Erfahrungen zu teilen. Viele von ihnen haben persönliche Verbindungen zu Syrien, dem Iran, dem Libanon oder sind selbst Kurd:innen.

Sie kommen auf den 7. Oktober zu sprechen. Der Tag ist für sie ein Symbol der Hilflosigkeit, wachsender Ängste und der Gewissheit, bekannte Menschen aus ihrem Umfeld an den Krieg verloren zu haben. Sie verbinden das Datum mit Schmerz, Beschämung, Wut und der sie quälenden Frage, wann den Menschen die Menschlichkeit abhandengekommen ist. Auch daran schließt sich eine bedrückende Stille an.

Ein Teilnehmer äußert seinen Unmut darüber, gezwungen zu sein, sich zu für oder gegen Israel, sich für oder gegen die Palästinenser positionieren zu müssen. Er wirft in den Raum:

Zwingt mich mein Hintergrund oder meine Situation, nur eine Seite konsequent zu vertreten und für sie vehement einzutreten?

Gleichzeitig kritisieren sie die Erwartung, die die Gesellschaft an sie stellt. Ein anderer berichtet:

Sie fordert eine Positionierung ein, manchmal auch eine komplette Zusammenfassung des Konflikts.

Es ist die Einteilung in Schwarz und Weiß, in für und gegen Israel, die die Teilnehmenden ablehnen. Sie wünschen sich lieber, dass ihre Gefühle und ihr Schmerz ernst genommen werden. „Ich habe noch nie gehört, dass mir jemand gesagt hat, ‘ich fühle mit dir’“, stellt ein anderer fest. Ungeachtet der Handlungen der israelischen Regierung und der Palästinenser wünschen sie sich, für die Menschlichkeit einzutreten. Sie fordern von ihrem Umfeld außerdem, sich inhaltlich mit dem Konflikt zu beschäftigen und beide Seiten zu betrachten – und nicht, sich einfach als Unbeteiligte:r ohne Meinung zu sehen. Ein Jugendlicher meint:

 Es ist ein Privileg, wegschauen zu können.

Am Ende des Workshops sind die Jugendlichen nachdenklich. Eine Teilnehmerin erzählt, dass sie Angst hat. Die anderen um sie herum nicken im Kanon. Sie wünschen sich, dass wir uns von unserer festgefahrenen Meinung lösen, dass wir die Gegenseite betrachten, ohne sie zu verunglimpfen oder ihr ihre Berechtigung abzusprechen. Sie wünschen sich eine Debatte für mehr Menschlichkeit. Am Ende des Workshops bleiben immer noch viele Fragen und Erfahrungen ungesagt. „Es wäre toll, wenn wir noch länger Zeit hätten, darüber zu sprechen“, so das Fazit der Gruppe. Als sie von ihren Stühlen aufstehen, wird der Raum noch ein letztes Mal von der bedrückenden Stille erfüllt. Ich werde nachdenklich und bin gerührt. Vielleicht ermöglichen einem die Geschichten der Betroffenen, einen besseren Zugang zu dem Nahostkonflikt zu bekommen, als es eine rein inhaltlich-historische Aufarbeitung getan hätte.


Bild Quelle: https://pixabay.com/illustrations/lines-scribbles-face-messy-chaos-6298723/




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