Was umfasst der Schutz queerer geflüchteter Menschen? Zuerst bedeutet Schutz, dass ein Mensch, der aufgrund bestimmter Eigenschaft zu einer marginalisierten Gruppe gehört und aufgrund dieser Gruppenzugehörigkeit einer besonderen Gefahr von Übergriffen ausgesetzt ist, vor eben genau diesen Übergriffen geschützt wird. Dass queeren Geflüchteten daher erweiterte Schutzmaßnahmen gewährt werden müssen, steht somit außer Diskussion.

Allerdings beinhalten entsprechende Maßnahmen nicht nur die bloße Abschirmung vor körperlichen sowie verbalen Angriffen. Schutz bedeutet ebenso, dass ein Mensch die Freiheit hat, sich selbstbestimmt und vorurteilsfrei ausleben zu können. Somit bleibt die Frage, inwiefern besondere Schutzmaßnahmen für queere Geflüchtete genauso den Schutz vor Stigmatisierung ermöglichen müssen. Ist die Gefahr von Stigmatisierung nicht umso höher, wenn eine bestimmte Gruppe von Menschen aufgrund eines gemeinsamen Merkmals gesondert behandelt und eventuell sogar durch Unterbringung in eigenen Unterkünften separiert wird? Inwiefern stehen besondere Schutzmaßnahmen einer gleichwertigen Inklusion aller geflüchteten Menschen im Weg, da eine potenziell nicht vermeidbare Blasenbildung aufgrund eines besonderen Umgangs eine Gefahr für Inklusion und Sichtbarkeit in der Gesellschaft darstellt? Ebenso bleibt das Risiko, dass Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht bis zu einem gewissen Grad genommen werden kann, da Sexualität in einer heteronormativen Gesellschaft schnell identitätsstiftend und stereotypisierend wirkt, obwohl letztendlich jeder Mensch selbst entscheiden können sollte, inwiefern er/sie sich durch seine/ihre Sexualität auszeichnet. Kann mangelndes Selbstbestimmungsrecht nicht auch als unzureichende Schutzmaßnahme betrachtet werden, wenn ein Mensch aufgrund seiner Sexualität automatisch zu einer bestimmten Gruppe gezählt wird, der er sich selbst eventuell gar nicht zuordnen würde?

Allgemein gehen solche Überlegungen begleitend mit der Frage nach der Aufrechterhaltung von Narrativen einher. Wenn über queere Migrant:innen gesprochen wird, fällt nicht selten auch das Wort „Betroffene“. Letztendlich ist die Bezeichnung „betroffene Personen“ Resultat einer heteronormativen Gesellschaft, in der queere Menschen automatisch als Opfer präsentiert werden. Selbst das Wort „queer“ kann das gleiche implizieren, wohingegen „straight sein“ bedeutet, dass ein Mensch einer Norm gerecht wird. Es muss jedoch differenziert werden, ob jemand sich selbst als „queer“ bezeichnet oder seine/ihre Sexualität durch außenstehende Personen kategorisiert wird, um auch hier das Selbstbestimmungsrecht des Menschen nicht anzugreifen. Eine separate Unterbringung geflüchteter queerer Menschen kann somit auch als Aufrechterhaltung einer narrativen Gesellschaft, die klar zwischen Norm und Abnorm unterscheidet und in der Sexualität eine Rolle spielt und nicht einfach frei passieren kann, verstanden werden. Das wirft eine weitere Frage auf, wie man es schafft, Strukturen entgegenzuwirken und eben nicht aufrechtzuerhalten, obwohl man schlussendlich ebenso akzeptieren muss, dass man an den gesellschaftlichen Kontext gebunden ist, da dieser nun mal die Realität widerspiegelt und es falsch wäre, die realen Umstände zu ignorieren und damit zu verharmlosen. Das kann im Umkehrschluss nämlich wieder als fehlende Schutzmaßnahme verstanden werden, wenn die Vorstellung einer vorurteils- und narrativfreien Utopie die Realität und den Punkt, an dem wir als Gesellschaft tatsächlich stehen, verwischt oder verzerrt.

Zeitgleich muss beim Schutz queerer Geflüchteter auch der Respekt gegenüber verschiedenen Kulturen gesetzt sein. Die westliche Kultur, in der eine sexuelle Gleichstellung bislang ebenso Utopie bleibt, darf dabei nicht als Leitkultur dienen. Die Vorstellung einer Sexualität nicht bewertenden Gesellschaft kann zum Teil nicht im Einklang mit den Werten verschiedener Kulturen stehen. Und Inklusion bedeutet eben nicht, dass kulturelle Werte einer anderen Kultur aufgezwungen werden, sondern dass eine Art gemeinsamer Nenner zwischen allen präsenten Kulturen gefunden wird, sodass Inklusion als beidseitiges Aufeinanderzubewegen verstanden werden kann. Der Schutz des Menschen muss somit auch den Schutz kultureller Werte garantieren und die Vorstellung einer vorurteilsfreien sowie neutralen Gesellschaft frei von Normen mit allen präsenten Kulturen harmonieren.

Schutzmaßnahmen bedeuten somit nicht nur den Schutz vor (physischen) Übergriffen, sondern ebenso Schutz vor Benachteiligung durch Stigmatisierung sowie Separation und Schutz des Selbstbestimmungsrechts eines Jeden. Zeitgleich sollte sich das mit dem Schutz einer interkulturellen Gesellschaft mit verschiedenen Vorstellungen und Bedürfnissen, die im besten Fall alle vollständig frei von Wertung sein sollten, vereinen lassen. Das ist allerdings auch paradox, da das Zulassen aller Bedürfnisse ja auch das Bedürfnis mit einbezieht, bestimmte Bedürfnisse als Einzelne:r nicht zulassen zu wollen und zu verurteilen beziehungsweise zu bewerten. Als Orientierung kann daher der Schutz der/des Einzelnen, freie und individuelle Entscheidungen treffen zu können ohne dabei seine:n/ihre:n Nächste:n zu verletzen oder einzuschränken, dienen.

Schlussendlich sollten queere Migrant:innen selbst entscheiden können, welche Schutzmaßnahmen sie in Anspruch nehmen wollen. Das heißt, dass ein Raum geboten werden muss, der alles erlaubt, aber zu nichts zwingt und individuelle Entscheidungen und Präferenzen neutral zulässt.


Bild-Quelle: Foto von Rob Maxwell auf Unsplash




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