Das 9-Euro-Ticket polarisiert wie kein anderer Fahrschein. Es ist ein kolossaler Erfolg der Bundesregierung, dass sich viele Bürger verlängert wünschen, doch die Ampel-Koalition ist sich uneinig. In Zeiten von Krieg und Energiekrise wäre eine Regierung, die miteinander und nicht gegeneinander arbeitet, doch so wichtig. Ein Meinungsbeitrag über Vor- und Nachteile, eigene Erfahrungen als 17-jähriger Schüler dieses Landes und wie es weitergehen soll mit dem 9-Euro-Ticket.
Das in diesem Frühjahr vorgestellte 9-Euro-Ticket, wurde mittlerweile rund 52 Millionen Mal verkauft und hat die Deutsche Bahn vor eine große und nie dagewesene Situation gestellt. Nach drei Wochen im prophezeiten Chaos schrieb die Bahn: Das 9-Euro-Ticket funktioniert. Fahrgastzahlen hätten sich spürbar erhöht und vor allem Regionalzüge sind stark ausgelastet. Hippies und Punks eroberten Westerland und die gewohnten Verspätungen der Deutschen Bahn haben vielen Menschen Frustration bereitet. Dennoch, im Großen und Ganzen läuft es und ist durchaus eine Bereicherung für die Gesellschaft.
Viele Menschen haben die Regionalbahn für sich neu entdeckt. Ich selbst bin selten längere Strecken mit dem Regio gefahren, da es sich im Vergleich zum ICE Ticket kaum gelohnt hat. Wenn man dazu bedenkt, dass Regionalzüge oft verspätet sind und man öfter umsteigen muss.
Das diese, durch das 9-Euro-Ticket offenbarte, neue Art des Reisens durch den ÖPNV, leider nicht sein ganzes Potenzial zeigen kann, weil es auf Regionalstrecken oft zu Verspätungen kommt, ist einfach bedrückend und traurig und zeigt, wie sehr die Regierungen der letzten Jahrzehnte die Bahninfrastruktur vernachlässigt hat. Es wurde nicht nur versäumt, Bahntrassen zu bauen, die heutzutage so nötig gewesen wären, sondern auch sogenannte „Langsamfahrstellen“, die wegen Problemen im Gleis einen Unfall verhindern sollen, welche ein Trigger für Verspätungen sind. Nachdem diesen Sommer in Garmisch-Partenkirchen ein Regionalzug entgleiste und 5 Menschen in den Tod riss, wurden auffällig viele Langsamfahrstellen bundesweit neu aufgestellt.
Dass Deutschland aber lieber Autobahnen ausbaut, anstatt die Interessen der Bürger zu vertreten, die sich einen funktionierenden ÖPNV wünschen, ist nicht gerecht gegenüber denen, die kein Auto besitzen, aber die ganze Autoindustrie mitsubventionieren müssen.
Viele Menschen wollen mit dem Zug fahren, wenn der Preis stimmt. Das 9-Euro-Ticket gibt auch Menschen mit geringem Einkommen die Möglichkeit Freunde und Verwandte zu besuchen und in den Urlaub zu fahren, was vorher eventuell finanziell nicht möglich war, vor allem nicht kurzfristig. Es ist ein riesiger sozialer Erfolg der Bundesregierung, diesen Menschen auf umweltverträgliche Weise Perspektiven und Freiheiten zu geben.
Das 9-Euro-Ticket hat bisher aber dennoch kaum einen positiven Effekt auf das Klima, weil dann doch zu wenige vom Auto auf den Zug umgestiegen sind. Teilweise sind Pendler sogar vom Zug auf das Auto umgestiegen, da viele Züge verspätet und überfüllt waren. Dazu gab es eine Steuersenkung auf Benzin ab dem 1. Juni – der Monat, wo das 9-Euro-Ticket eingeführt worden ist. Aus ökologischer Sicht ist das Ticket also leider nicht, wie erhofft, ein Erfolg gegen den Klimawandel.
Der Effekt wäre dennoch langfristiger, wenn das 9-Euro-Ticket dauerhaft und nicht nur über drei Sommermonate angeboten werden würde. Ein günstiger ÖPNV könnte viele Menschen dazu anregen, das Auto stehenzulassen oder gar zu verkaufen. Dafür müssten sich Autofahrer auf die Dauerhaftigkeit des 9-Euro-Tickets verlassen müssen. Die Regierung kann das Ticket nicht nach zwei, drei Jahren wieder abschaffen. Menschen würden dann ohne erschwinglichen ÖPNV dastehen und bereuen, ihr Auto verkauft zu haben.
Wie uneinig sich die Bundesregierung zurzeit ist, merkt mittlerweile jeder. Vor allem beim 9-Euro-Ticket klaffen die Meinungen zwischen Grünen und FDP auseinander. Dabei schlagen die Grünen ein 29-Euro-Regionalticket vor, das sich vor allem an Pendler wenden soll, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren. Bundesweit soll es, um den Tarifdschungel zu durchbrechen, ein ausgeweitetes 49-Euro -Ticket geben, das den Komfort des 9-Euro-Ticket beibehält. Damit reagieren die Grünen auf die Forderungen der Bevölkerung, wo sich die Mehrheit eine Folgelösung wünscht. Die Vorschläge werden von der FDP zurückgewiesen und ein Folgeticket abgelehnt. Christian Linder findet die Verlängerung des 9-Euro-Ticket „nicht fair“ und möchte die „Gratismentalität“ der Deutschen nicht unterstützen, da auch Bürger das 9-Euro-Ticket subventionieren, die keinen Bahnhof in der Nähe haben und so auf das Auto angewiesen sind.
Ebenso werden aber auch Autos subventioniert, obwohl nicht jeder Bürger eines besitzt. Dass die Bahninfrastruktur bundesweit schlecht ausgebaut ist und dass auch Menschen auf dem Land, das Auto zu Hause stehen lassen können, sollte nicht als Grund dienen, sozial schwächeren Menschen die Möglichkeit zu einem erschwinglichen Ticket zu verwehren.
Christian Lindner redet über „Gratismentalität“ der Deutschen, die sich das 9-Euro-Ticket verlängert wünschen, selbst aber kriegt er Dienstwagen und eine Bahncard-100 gestellt. Dazu schont er Übergewinne von Unternehmen im Krieg und wirft Steuermilliarden für Tankrabatte aus dem Fenster. Dass ein Minister, der unter anderem mit Porsche lobbyiert und seine Hochzeit in einer Kirche feiert, ohne dabei Kirchensteuer zu bezahlen, von Fairness redet, ist eine Frechheit.
Für den Staat hat das 9-Euro-Ticket über die drei Monate rund 2,5 Mrd. Euro gekostet, was im Jahr rund 10 Mrd. Euro wären, würde man an dem 9-Euro-Ticket festhalten. Dazu würden Zusatzkosten, wie z.B. der Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur, kommen. Um die Summen finanzieren zu können, müsste das Dieselprivileg (niedrigere Besteuerung von Diesel-Sprit) verschwinden, die dem Staat jährlich 9,5 Mrd. Euro kostet. Dazu die Pendlerpauschale streichen, die jährlich 5,5 Mrd. Euro verschluckt. Beide Maßnahmen gehen auf die Kosten von Menschen, die aufgrund von Gentrifizierung die Stadt verlassen mussten. Ein anderer Weg wäre die Umverteilung der Dienstwagen Subventionen.
Aufgrund der hohen Gaspreise fordern die Linken eine Verlängerung des Tickets bis Ende des Jahres. Dagegen meint Martin Burkert, Vizechef der Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG), dass „das 9-Euro-Ticket so nicht weitergeführt werden“ kann. Er fordert aufgrund des komplett überlasteten Zugnetzes, dass mehr Geld in den Nahverkehr investiert werden soll und plädiert für eine 9-Euro-Ticket-Alternative.
Ich selbst habe das 9-Euro-Ticket ausgiebig genutzt, um z.B. ICE- und Regionalzugfahrten zu kombinieren. Durch die Gültigkeit des Tickets auch im öffentlichen Verkehr der Stadt, konnte man dem meist kompliziert zu durchschauenden Stadttarifen aus dem Weg gehen. Die Spontanität, die mir das Ticket ermöglichte, gab mir die Chance Fahrten kurzfristig zu planen oder zu verschieben. Ich habe meinen Vater in Hamburg besuchen können, kein in Ferienzeiten überteuertes ICE-Ticket von München nach Berlin bezahlen müssen und bin durch den ÖPNV viel durch Städte gefahren, was ich sonst, wegen der hohen Preise nicht gemacht hätte.
Die Schere zwischen arm und reich geht in Deutschland so weit auseinander, wie noch nie, dazu rutscht die untere Mittelschicht Richtung Armut. Das 9-Euro Ticket ist ein Ausgleich für ein soziales Gleichgewicht in Deutschland. Egal ob sozial schwach, jugendlich ohne Geld, Sparfuchs oder Tourist. Das 9-Euro-Ticket gibt jedem Bürger die Freiheit sein eigenes Land zu erkunden, was vor allem nach Corona viel Abwechslung verspricht. Es spart Geld in einer Zeit von Rekordinflation und Corona. Das 9-Euro-Ticket ist aus meiner Sicht langfristig für soziale Gerechtigkeit, Mobilitätsfreiheiten und den Kampf gegen den Klimawandel notwendig.
Bildrechte: IMAGO/Wolfgang Maria Weber