Auch wenn in den Medien während des Wahlkampfs vor allem oft die Gesichter von Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet zu sehen waren, gibt es noch viele weitere Wahloptionen bei der diesjährigen Bundestagswahl, als die jeweiligen Parteien der Kanzlerkandidat:innen. Selbst wenn wir uns alle sechs Parteien anschauen, die derzeit im Bundestag vertreten sind, haben wir nicht einmal ansatzweise das volle Spektrum im Blick.
An der Bundestagswahl am 26.09.21 nehmen 47 von insgesamt 54 zugelassenen Parteien teil, 40 davon treten mit Landeslisten für die Zweitstimme an. Das sind noch einmal mehr als 2017, davon traten damals 34 Parteien mit Landeslisten an.
Die 5% Hürde
Wie bereits erwähnt sind von all diesen Parteien momentan jedoch nur sechs im Bundestag repräsentiert. Das liegt an der sogenannten 5% Hürde, die besagt, dass die Sitze im Bundestag nur unter den Parteien aufgeteilt werden, welche mehr als 5% aller Zweitstimmen bekommen. Damit soll sicher gestellt werden, dass nicht zu viele Parteien in den Bundestag kommen, sodass es möglich ist Mehrheiten zu finden und eine stabile Regierung zu bilden.
Der Anteil an Wähler:innen, welche ihre Zweitstimme an eine Partei geben würden, die momentan nicht im Bundestag vertreten ist, liegt laut Umfragen verschiedener Institute zwischen sechs und zehn Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 lag die Anzahl an Stimmen für Parteien, welche es nicht über die fünf Prozent Schwelle geschafft haben bei fünf Prozent.
Die Urbane – Eine Hip Hop Partei
Eine der Parteien, welche sich hinter der Bezeichnung „Sonstiges“ verbirgt, ist „Die Urbane. Eine Hip Hop Partei“. Die Urbane (du.) wurde 2017 gegründet und tritt dieses Jahr zum 2. Mal bei einer Bundestagswahl an. Bei dieser Bundestagswahl ist die Partei in sieben Bundesländern wählbar, darunter Berlin, Hamburg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
Inhaltlich steht die Partei vor allem für eine antirassistische, dekoloniale, machtkritische, queerfeministische und intersektionale Politik. Sie beruft sich auf die urbane und emanzipator–ische Bewegung, welche die Hip Hop Kultur ist und ihren Ursprung in den 70er Jahren der USA hat. In ihrem Parteiprogramm heißt es, dass „Hip Hop (…) aus der Notwendigkeit, sich Gehör zu verschaffen (entstand). Hip Hop war das Sprachrohr marginalisierter Menschen, die von ihrer sozialen Realität erzählten, und damit auf strukturelle politische Missstände hinwiesen: „The voice of the silenced“ „. Genau das will diese Partei auch sein. Melis Yilmaz, Teil des Landesvorstandes der „du.“ in Hamburg, beschreibt sie als „Mischung aus Aktivismus und Politik“.
Verschwendete Wahlstimme?
Bei der letzten Bundestagswahl hat die Urbane allerdings nur weniger als 0,1% aller Stimmen erhalten und ist somit weit entfernt vom Einzug in den Bundestag gewesen. Es gibt viele Personen, welche das Gefühl haben, dass sie ihre Wahlstimme verschwenden, wenn sie eine Partei wählen, die es am Ende nicht über die 5% Hürde und somit nicht in den Bundestag schafft.
Was motiviert andere Leute also trotzdem Mitglied dieser Partei zu werden oder ihre Stimme an sie zu geben?
Vielen geht es um Überzeugung, den Wunsch nach einer Veränderung des Status Quo und endlich gehört zu werden. Auch Melis Yilmaz erklärt ihre Mitgliedschaft und Listenplatz bei der Urbane folgendermaßen:
„Wir sind (noch) eine kleine Partei, jedoch wachsen wir von Tag zu Tag, in dem wir
mit Menschen reden und in dem wir unsere Stimmen hörbar machen. Empowerment
spielt in diesem Zusammenhang auch eine wichtige Rolle. Wir sind nicht allein und
uns alle verbindet das starke Bedürfnis für eine gerechte(re) Gegenwart und Zukunft
einzustehen.“
Angesichts vieler immer dramatischer werdender Krisen – allen voran der Klimakrise, aber auch die aktuelle Pandemiesituation – haben viele Leute eine Frustration den etablierteren Parteien gegenüber entwickelt. Sie suchen nach einer Partei, welche für radikale Veränderungen steht und sie aus einem Gefühl der Ohnmacht befreit, welches auch Melis Yilmaz verspürt hat. Grade Personen, welche eben nicht von dem jetzigen Status Quo profitieren sehen in den Forderungen und neuen Ideen einer Partei wie der Urbane den einzigen Weg nach vorne. Melis Yilmaz sagt, dass auch sie durch ihren eigenen Hintergrund und ihre Erfahrungen nicht das Privileg hat unpolitisch zu sein. Deshalb ist es für sie die richtige Entscheidung Teil von du. zu sein:
„Wir wollen radikale Veränderung in allen Bereichen: Dekoloniale Klimagerechtigkeit,
konsequente Verfolgung rechter Netzwerke in der Polizei und in den Behörden,
Bildung ohne Diskriminierung und die Dekolonisierung von Bildung, Barrierefreiheit,
die Einführung von Black Studies, Reparationen für europäische Kolonisierung, das Stoppen von Deportationen, die Abschaffung von Racial Profiling und Frontex, die Sicherung von LGBTQIA+ Rechten, die Freigabe der NSU Akten, das allgemeine Wahlrecht ab 14 Jahren (unabhängig von Pass und Status), intersektionale Repräsentation für BiPoC & Flinta und vieles mehr.
Das sind Forderungen, die so in den Programmen der anderen zugelassenen
Parteien nicht zu finden sind. Also wähle ich die Partei, die diese Themen aufgreift und solche Forderungen nach vorne bringt. Die es wirklich ernst meint mit den Forderungen und die alle Perspektiven einbezieht. Es wird keine Politik von oben herab angestrebt, sondern eine, die aus uns heraus gestaltet wird.“
Selbst wenn es „du.“ also nicht in den Bundestag schaffen sollte, kann sie trotzdem Menschen mit den gleichen Forderungen zusammen bringen und diesen eine Stimme verleihen. Eine Stimme, die lautstark nach Veränderung verlangt und darauf aufmerksam macht, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Diese Botschaft wird umso deutlicher, wenn die großen Parteien im Bundestag einen Teil ihrer Wähler:innen an Parteien wie die Urbane verlieren. Die Forderungen können also trotzdem Gehör finden auch wenn keine Abgeordneten von du. nach der Wahl im Bundestag sitzen.
Zusätzlich dazu hat jede Partei einmal als kleine Partei angefangen und mit jeder zusätzlichen Stimme kann sie weiter wachsen. Melis Yilmaz weist auch darauf hin, dass die Urbane bei einer Überschreitung der 0,5% Hürde bei der Bundestagswahl in die Parteienfinanzierung kommt. Dieses Geld könnte genutzt werden, um die Werte und Inhalte der Partei weiter in die Öffentlichkeit zu bringen und somit langfristig auch größer zu werden.
Eine Stimme für die Urbane oder eine andere Partei, welche es vielleicht nicht in über die Zweitstimme in den Bundestag schafft, hat also trotzdem einen Effekt und Einfluss auf die aktuelle Politik und das politische Geschehen.
Am Ende des Tages ist es die eigene Entscheidung jeder Person, ob man die Partei wählt durch dessen Wahlprogramm man sich am besten repräsentiert fühlt oder eher eine Partei, die ihr strategisch mit der 5% Klausel im Hinterkopf aussucht.
Wichtig ist es vor allem wählen zu gehen – eine der 47 Optionen wird euch hoffentlich überzeugen.