Prüfungsangst – Wenn im Kopf die Alarmglocken schrillen

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Was ist Prüfungsangst?

Die Hände zittern, der Magen verkrampft sich, auf der Stirn glänzt der Schweiß. Auf dem Tisch liegt ein weißes Blatt Papier – leer. Aus dem Hintergrund ruft der Lehrer: „Noch 5 Minuten!„ Der Puls rast, die Gedanken kreisen, aber keine einzige Antwort will sich finden. Eben im Bus war das Wissen noch da, jetzt ist es wie ausgelöscht.

Was macht Prüfungsangst aus?

Solche Szenarien kennen viele und – und sie deuten auf ein Phänomen hin, das als Prüfungsangst bekannt ist. Dabei handelt es sich um eine spezifische Phobie, unter der laut einer Studie der IU (Internationale Hochschule) neun von zehn Menschen in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben gelitten haben. Betroffene verspüren eine intensive Angst vor und während Prüfungen oder anderen Bewertungssituationen. Neben psychischen Symptomen wie Panik, innere Unruhe und Angst vor eigenem Versagen treten körperliche Symptome wie Schlaflosigkeit, Schweißausbrüche, Herzrasen und Übelkeit auf. Diese klinisch relevante Prüfungsangst kennzeichnet sich durch das Auftreten mehrerer dieser Symptome und kann große Einschränkungen im Alltag zur Folge haben. Vor einer Klausur eine gemäßigte Aufregung mit wenigen, leichten Symptomen zu verspüren, ist allerdings ganz normal und kein Grund zur Sorge.

Dazu zählt zum Beispiel die Erwartungsangst, die sogenannte „Angst vor der Angst“. Dabei geraten Betroffene oft schon Wochen vor der Prüfungssituation in Panik und erleben dauerhaften Stress, weil sie Angst vor möglichen Panikattacken und einem Blackout haben. Durch diesen Stress erhöht sich allerdings ihre Anfälligkeit für Panikattacken und kognitive Blockaden, sodass ein Teufelskreis entsteht, der nur schwer zu durchbrechen ist. Außerdem birgt Prüfungsangst das Risiko, dass sich eine generalisierte Angststörung entwickelt, also eine andauernde, realitätsferne Angst in allen Lebensbereichen. Um das zu vermeiden, kann es Betroffenen helfen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Biologische Ursachen von Prüfungsangst

Wie entsteht dieser Stress? Und warum scheint genau in dem Moment, in dem das Wissen gebraucht wird, alles wie ausgelöscht?

Prüfungen bedeuten Stress, weil eine Person unter Druck Leistungen erbringen soll, ohne vorher zu wissen, ob sie diese Herausforderung zufriedenstellend bewältigen kann. Im Körper äußert sich das durch das Ausschütten von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol.

Ein moderates Stresslevel und eine entsprechend maßvolle Ausschüttung dieser Hormone vor Prüfungen ist nicht nur normal, sondern auch evolutionär betrachtet sehr sinnvoll. Denn durch die Ausschüttung von Adrenalin wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt und die Leistungsfähigkeit wird gesteigert. In der Steinzeit war dieser Mechanismus überlebenswichtig: In einer lebensbedrohlichen Situation, zum Beispiel bei einem Angriff durch ein Raubtier, sorgten die ausgeschütteten Hormone für eine stärkere Durchblutung und für eine sofortige Bereitstellung von Energie, um schnell auf die Gefahrensituation mit Flucht oder Angriff reagieren zu können. Die Pupillengröße nimmt zu, die Aufmerksamkeit steigt, das Herz schlägt schneller und andere, momentan überflüssige Körperfunktionen wie die Blasenaktivität, werden unterdrückt. Cortisol unterstützt diese Reaktion, setzt aber erst 10 bis 20 Minuten später als Adrenalin ein und wirkt längerfristig: Es hält den Körper in der „Alarmphase„ und beeinflusst unter anderem den Stoffwechsel sowie das Gedächtnis. Obwohl wir heute nur noch selten lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt sind, laufen genau die gleichen körperlichen Prozesse wie vor 10.000 Jahren ab, wenn wir eine Prüfung schreiben oder ein Vorstellungsgespräch haben.

Bei akutem Prüfungsstress werden jedoch mehr Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet, als eigentlich notwendig wäre. Der hohe Cortisolspiegel hemmt die Aktivität von Nervenzellen im Hippocampus, dem „Lernzentrum“ des Gehirns. Das zeigt eine Studie von Prof. Dr. Dominique de Quervain der Universität Basel: Menschen, die eine Cortisol-Tablette einnahmen, konnten eine zuvor gelernte Liste von 60 Wörtern deutlich schlechter abrufen als eine Kontrollgruppe. Dieser kurzfristige Funktionsverlust des Hippocampus ist also die Ursache für Blackouts in Stresssituationen. Bei chronischem Stress und einem dauerhaft erhöhten Cortisolspiegel können sogar irreversible Zellschäden auftreten, wodurch das Volumen des Hippocampus abnimmt. Langfristig verschlechtern sich dadurch Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit.

Psychologische Ursachen

Wie kommt es nun aber dazu, dass manche Menschen an Prüfungsangst leiden und andere nicht? Wieso haben nicht alle Menschen in Stresssituationen mit zu hohen Cortisolwerten und den Folgen zu kämpfen?

Eine Ursache, die Forschende bisher bei Tieren bestätigen konnten und auch bei uns Menschen vermuten, sind frühkindliche Traumata. Sie können Gene beeinflussen, die die Ausschüttung von Stresshormonen regulieren. So kann es durch erlebte Gewalt, Naturkatastrophen und Ähnlichem dazu kommen, dass Menschen seit ihrem Kindesalter eine erhöhte Ausschüttung von Cortisol und damit eine höhere Anfälligkeit für Prüfungsangst mit Blackout haben.

Weitere Ursachen sind ein niedriges Selbstwertgefühl, zu hohe Ansprüche an sich selbst, hohe Erwartungen von außen oder schlechte Erfahrungen in vorherigen Prüfungssituationen.

Strategien zur Bewältigung von Prüfungsangst

Sind Studierende, die unter Prüfungsangst leiden, ihrer Situation also hilflos ausgesetzt? Die Antwort lautet zum Glück „nein“. Von alleine wird die Angst zwar in der Regel nicht verschwinden, aber mit geeigneten Übungen und Strategien – gegebenenfalls mit Hilfe eines Therapeuten oder einer Therapeutin – lässt sie sich dennoch in den Griff bekommen.

Das beginnt bereits bei der Prüfungsvorbereitung. Möglichst genaue Informationen über Ablauf und Umfang der Prüfung können helfen, die Angst zu vermindern. Dabei kann es auch hilfreich sein, den Ort der Prüfung vorher einmal zu besuchen, wenn man ihn noch nicht kennt. Außerdem ist es wichtig, früh mit der inhaltlichen Vorbereitung zu beginnen, denn je öfter der Stoff wiederholt wird und das Gehirn merkt, dass er tatsächlich sitzt, desto größer ist die Selbstsicherheit in der Prüfung.

Auch wer negative Denkmuster durchbricht und regelmäßig an Gründe denkt, warum er diese Prüfung gut meistern wird, wird sich selbst immer mehr davon überzeugen, dass er keine Angst haben muss. Für das Gehirn ist Wiederholung nämlich schwer von Wahrheit zu unterscheiden. Jeder Gedanke an ein mögliches Versagen in der Prüfung ist also kontraproduktiv, weil der Glaube an ein tatsächliches Scheitern damit wächst.

Eine weitere hilfreiche Methode zur Stressbewältigung ist Bewegung. Sie senkt nachweislich den Cortisolspiegel und lässt Menschen so weniger gestresst sein. Außerdem kann es helfen zu versuchen, die negativen Emotionen und körperliche Symptome zu akzeptieren. Sie werden vorübergehen und scheinen deutlich weniger bedrohlich, wenn sie als eine natürliche Reaktion angenommen werden.

Am Abend vor der Prüfung sollten Studierende nicht zu spät, aber auch nicht zu früh ins Bett gehen. Denn wer im Bett liegt, ohne ausreichend müde zu sein, den können Grübeleien noch länger wach halten. Am besten werden die Kleidung und die Tasche bereits vorbereitet, sodass diese Aufgaben gedanklich abgehakt sind. Am Prüfungstag selbst empfiehlt es sich, morgens genug Zeit einzuplanen, um unnötigen Stress zu vermeiden. Und auch wenn der Appetit möglicherweise fehlt, ist ein kleines Frühstück wichtig, denn das Gehirn braucht Energie, um effizient arbeiten zu können.

Während der Prüfung kann es sinnvoll sein, mit den einfachsten Fragen zu beginnen, um mit einem guten Gefühl zu starten. Wenn sich ein Blackout anbahnt, kann es helfen, kurz „Stopp!“ zu denken, um zu verhindern, dass die Panik Oberhand nimmt. Eine kurze Pause, das Denken an etwas Schönes und das bewusste Neuordnen der Gedanken können dabei unterstützen, wieder ruhiger zu werden.

Auch Atemübungen sind hilfreich. Wichtig ist, nicht schnell und flach zu atmen, sondern langsam und bewusst tief ein- und auszuatmen. Dadurch kann das Gehirn optimal mit Sauerstoff versorgt werden und der Körper entspannt sich. Eine weitere Übung ist die progressive Muskelrelaxation, bei der einzelne Muskeln nacheinander bewusst angespannt und schließlich wieder gelockert werden – beginnend bei den Füßen über die Beine, den Rücken und die Arme bis zum Gesicht. Dadurch wird die Produktion von Stresshormonen gehemmt und durch die Konzentration auf den Körper lenkt die Übung von der Angst ab.

Ein positiver Ausblick

Und schließlich hilft es vielleicht, sich vor Augen zu führen, dass Prüfungsangst kein individuelles Scheitern ist – sondern ein verbreitetes Phänomen, das sich mit Wissen, Vorbereitung und Unterstützung bewältigen lässt. (mehr …)