Neulich am Küchentisch erzählt meine Schwester von ihrer Reise durch Europa: 2,5 Monate Interrail in Frankreich, Spanien, Portugal und zwischendurch sogar ein Kurztrip nach Marokko.

Meine Eltern: „Du musst so entspannt sein, nach dem ganzen Urlaub“. — „Nee, ich brauche jetzt erst mal Urlaub, ich bin total erschöpft“.

Darauf folgt Unverständnis, aber meine Schwester hat recht, Reisen erschöpft und ist ein anderes Kaliber als All-inclusive Urlaub mit Essen im Hotel und Cocktails schlürfen am Pool.

Klar, die finanziellen Mittel müssen gegeben sein, auch beim Work and Travel ist ein Startkapital die allererste Voraussetzung. Allein die Impfungen oder die Auslandsversicherung sowie Visa verlangen mindestens einige hundert Euro ab, von dem Transport zum Zielort ganz zu schweigen.

Die Initiative DiscoverEU, die von der EU gefördert wird, verlost jedes Jahr 35.000 Tickets für eine kostenlose Reise durch Europa mit dem Zug.[1] Auch, wenn man nicht unter den Gewinner:innen dieser Verlosung ist, ist das Ticket günstiger und umweltfreundlicher als Flüge an fernabgelegene Orte. Zudem begünstigt das sehr gut ausgebaute Zugnetz Europas diese Art des Reisens und schafft es somit auf die Bucket Liste vieler nach dem Schulabschluss. Das Fernweh ergreift Menschen aller Altersklassen und obwohl meistens traumhaft schöne Orte für die Reisen ausgewählt werden, handelt es sich hierbei nicht um Urlaub.

2024 unternahmen circa 20 Millionen Deutsche Urlaubsreisen.[2] 30 Millionen hingegen fuhren gar nicht weg. Im selben Jahr gaben die Deutschen im Durchschnitt pro Person und pro Reise 1320 Euro aus.[3]

Die meisten Reisenden sind nach dem Überwinden dieser ersten Hürden mit leichtem Gepäck unterwegs und kommen in Hostels statt teuren Hotels unter. Der Anspruch ans Reisen ist es, das meiste aus der Zeit weg von zu Hause herauszuholen: so viele Leute wie möglich kennenlernen, neue Erfahrungen machen, möglichst viele Orte sehen, sich mit Locals anfreunden und ganz oben auf der Liste: Aktivitäten. Dazu gehören Wanderungen, Ausflüge zu Aussichtspunkten wie dem Montjuïc in Barcelona oder eine Nacht unter den Sternen schlafen in der Saharawüste in Marokko. Hauptsache man lernt die lokale Kultur möglichst durch eine nicht gentrifizierte Brille kennen.

Die spannendsten Touren werden von lokalen Bewohner:innen geleitet und vermitteln Wissen über Naturphänomene oder architekturelle Besonderheiten. Dass die bekannte rote Brücke in Lissabon, die an die Golden Gate Bridge in San Francisco erinnert, von demselben amerikanischen Bauunternehmen konstruiert wurde, oder, dass das Meer aufgrund bestimmter Meeresorganismen an manchen Küsten Spaniens nachts leuchten kann, hätte ich im Urlaub am Pool liegend nie erfahren.

Obwohl Reisen sehr anstrengend sein kann, man über Wochen oder Monate hinweg aus einem schweren Rucksack lebt, alle paar Tage den Ort wechselt und schlaflose Nächte in Zügen oder Bussen verbringt, sieht man in einer verhältnismäßig kurzen Zeit unglaublich viele großartige Orte. Bei low-budget Reisen wie diesen wird die Pasta mit Pesto von dem Ausblick auf den Strand versüßt und schmeckt somit trotzdem besser als das gute Essen zu Hause.

Für die Reisenden bleibt eine unvergessliche Erfahrung, vor allem durch diese Art des Tourismus wird jedoch in lokale Kulturen eingedrungen, was bestehende Infrastrukturen zerstören kann. Die beliebtesten Reiseziele werden zu Tourist:innenhotspots. Vor lauter Touren zu der Pont 25 Brücke in Lissabon, sieht man die Brücke kaum mehr und bei auf der Ausblickplattform des Montjuïc in Barcelona kann das Stadtpanorama nur im Hintergrund vieler Köpfe und Smartphones der Tourist:innen wahrnehmen. Es entstehen Backpackerhostels, Stadttouren zu den bekanntesten Attraktionen und eine Veränderung der ökonomischen Struktur, auch für Bewohner:innen des Traumziels.

Natürlich kann all dies oft auch bei Urlauber:innen der Fall sein. Aber ist das Ziel des Urlaubs nicht ein anderes? – Früh aufstehen, von morgens bis abends unterwegs sein, eintönige Ernährung und so viele Kosten wie möglich einsparen, um möglichst viel aus der begrenzten Zeit herauszuholen hört sich für viele eher nach stressigem Alltag an.

Urlaub bedeutet für die meisten vor allem eins: Entspannung. Das tun, wozu man im Alltagschaos nicht kommt. Endlich das Buch lesen, das man so lange aufgeschoben hat und sich keinen Wecker stellen müssen. Der Ort spielt dabei oftmals keine große Rolle. Was zählt, ist das Gefühl am Ende des Urlaubs: die Bereitschaft wieder in den Arbeitsalltag zu starten mit dem Gefühl, den Tank wieder aufgefüllt zu haben.

Beim Urlaub geht es um die Erholung, das Reisen erfordert sie im Nachhinein. Eskapismus oder im Moment sein? Luxus oder das Ausbrechen aus der Komfortzone? Verwöhnung oder „der Weg ist das Ziel“?

Sowohl Reisen als auch Urlaub sind große Privilegien, die Energie, finanzielle Möglichkeiten, Zeit und vieles weitere abverlangen. Die Herangehensweise ist der entscheidende Unterschied dieser beiden Eskapaden.

Dennoch: Am Ende sitzen alle am selben Strand. Der Weg dorthin bleibt individuell.


[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/discover-eu-zug-durch-europa-2170394

[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/170822/umfrage/tourismus-beliebteste-urlaubsziele-der-letzten-12-monate/

[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/220268/umfrage/reiseausgaben-der-deutschen-pro-person-und-reise/



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