Montagmorgen, 7 Uhr: A., 18, macht sich für die Schule fertig. Der Morgen ist von Chaos geprägt, schließlich lebt er mit seiner siebenköpfigen Familie in einer kleinen Wohnung und sie alle müssen ihren Tag bestreiten. Von Motivation fehlt jede Spur, doch wer hat diese schon am frühen Morgen. Für A. trifft die Lustlosigkeit allerdings noch stärker, denn für ihn bedeutet sie, dass er an einen Ort zurückkehren muss, der von Vernachlässigung und Ungleichheit geprägt ist, nämlich die Schule. Und es kommt noch schlimmer: Heute hat er Englisch.
Jugendliche wie A. fühlen sich im Alltag oft allein gelassen. Sie durchleben eine Zeit, in der sie grundsätzlich einen großen Teil ihres Charakters entwickeln und dabei viel Unterstützung brauchen. Natürlich gelingt es nicht immer, Jugendliche angemessen zu unterstützen. Das ist nachvollziehbar, solange es sich um Ausnahmen handelt. Jetzt stellen wir uns aber ein Umfeld vor, das von dieser Vernachlässigung geprägt ist. Nicht nur die Eltern, sondern auch das Schulsystem versagt in dieser Hinsicht. Der Lehrplan ist voll, es gibt reichlich zu tun. Jedoch wissen die Lehrer nicht, wie sie mit Jugendlichen umgehen, die durch ihren sozialen und migrantischen Hintergrund weit unterprivilegiert sind. Denn die Schule stellt eben nicht einfach einen Ort dar, an dem man lernt und nach Hause geht. Sie ist der Ort, an dem Jugendliche die meiste Zeit ihres Lebens verbringen und an dem sie an Orten wie Chorweiler lernen, mit einer Routine zu leben. Lehrer tragen hier einen großen Part bei. Aber was, wenn man in seinen Lehrer:innen mehr Probleme sieht, als Vorbilder und Lehrbeauftragte?
Für einige Schüler:innen ist stellt das die harte Realität dar: Lehrer:innen, die scheinbar gegen Schüler:innen arbeiten, nicht für sie und auch nicht mit ihnen. Natürlich betrifft das nicht jede:n Lehrer:in, jedoch kann bereits eine einzelne Person dazu führen, dass für Schüler:innen jegliche Motivation verloren geht. Die Schulkosten können kaum getragen werden und das herrschende Stigma sorgt dafür, dass manche Lehrbeauftragte Schwierigkeiten haben, neutral zu bleiben. Die Stimmung hängt von der Laune der Lehrer:innen ab und nicht genug Schüler:innen haben eine Ahnung über ihre Rechte. Sie wissen nicht, dass ihnen ein weitestgehend gutes Schulleben zusteht, in welchem Lehrer:innen eine Hilfe darstellen müssten. A. ist nur ein Beispiel von vielen.
„Ich weiß, dass ich kein Musterschüler bin. Ich lebe in einer sehr kleinen Wohnung mit vier weiteren Geschwistern und habe zu Hause nicht mal einen Schreibtisch. Meine Lehrer:innen hat das nicht wirklich interessiert, glaube ich.“ Er erzählt, dass er sich nicht gut konzentrieren könne und man ihm keine Perspektiven vermitteln würde. Im Gegenteil, A. hat bei gewissen Lehrer:innen das Gefühl bekommen, sie würden ihm das Abitur aus Sturheit nicht gönnen wollen, sogar, wenn seine Leistungen besser gewesen wären.
„Letztes Jahr habe ich in Englisch meine Facharbeit geschrieben und habe eine sechs bekommen. Eine Gutachterin hat mich in die Ecke gedrängt und mich angeschrien, weil ich sie belügen würde. Sie sagte, es gäbe ein Plagiat und dass mein englisch unverständlich sei.“, schildert A., „Bei einem Gespräch mit meinen Eltern hieß es aber, die Arbeit sei zu gut gewesen. Besser, als man mich einschätzte. Für den Plagiatsvorwurf hat mir niemand einen Beleg oder einen Texthinweis gezeigt. Weil ich 18 Jahre alt war, hat man mir auch gar nicht gesagt, dass ich meine Eltern dazuziehen durfte. Ich finde das lustig, weil wir in der Schule so lange wie Kinder behandelt werden, bis sowas passiert. Dann heisst es, wir hätten selbst wissen müssen, dass die Eltern dabei sein dürfen. Es war auch egal, dass ich danach eingeschüchtert war und dass ich Herzrasen bekam, wenn ich gewissen Lehrer:innen begegnete.“.
Seit diesem Vorfall herrscht eine angespannte Stimmung zwischen ihm und seiner Lehrerin. Das Fach macht ihm nur noch wenig Spaß und ihn überkommt ein Gefühl der Angst, beim Gedanken, dass er Englisch hat.
Wenn Schüler:innen in solche Situationen fallen, sollten sie von ihrer Schule fair behandelt werden. Vorwürfe, die in keiner Weise bewiesen werden, sind belastend. Beistand durch die Schule ist hier unverzichtbar. Sei es ein:e Schulpsycholog:in oder ein:e Sozialarbeiter:in der/die Schüler:in muss sich sicher fühlen und seine Gefühle äußern dürfen. „Ich habe mich sehr klein gefühlt und habe seitdem keine Lust mehr auf Schule gehabt. Im Nachhinein bereue ich es, nicht die Schule gewechselt zu haben. Probleme mit Lehrer:innen gibt es an der Schule, unabhängig von meiner Situation, laufend.„
Manchmal kann es sein, dass Schüler:innen nicht ganz mitkommen oder einen anderen Bildungsweg in Betracht ziehen müssen. Den Schüler:innen einen alternativen Weg vorzustellen darf nicht durch Ausdrücke, wie „Du wirst hier sowieso kein Abitur bekommen.„ geschehen. Auch, wenn man als Lehrbeauftragte:r diese Meinung vertritt, ist es grenzüberschreitend, Schüler:innen eine Entscheidung aufzuzwingen. Diese sollten in ihren Leistungen unterstützt werden, bis sie sich dagegen entscheiden.
Soziale Brennpunkte werden in vielen Punkten fallengelassen. Die Lebensumstände sind für viele ohnehin schwer hinzunehmen und jeder Tag ist ein Kampf. In Chorweiler beherbergen die Hochhäuser zahlreiche Menschen und sich zu bilden ist schwer, da man täglich von Problemen, wie Platzmangel, finanziellen Problemen oder Rassismus konfrontiert wird. Die Perspektivlosigkeit wird des Weiteren durch den hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund angetrieben, der 2022 53,3 Prozent betrug und weiterhin steigt. Fehlende Integration führt dazu, dass die Erziehung vieler Kinder nicht einfach verläuft und ein schlechtes Umfeld reizt die Jugendlichen, die sich nur zugehörig fühlen möchten. Die Schule ist natürlich nicht für alle Schüler:innen verantwortlich, jedoch darf sie auch niemandem vermitteln, wertlos zu sein.
Aufgrund der verschiedenen Missstände ist es wichtig, dass die Schüler:innen ihre Rechte kennen. Ihr Wohl muss im Vordergrund stehen und ihre Würde darf keinesfalls verletzt werden. Daher ist es wichtig, dass neben den Schüler:innen, auch die Lehrer:innen und sonstige Verantwortliche Mitarbeiter:innen aller Schulen reflektieren. Ein fehlerhaftes Bildungssystem kann nur verbessert werden, wenn alle an einem Strang ziehen. Wichtig ist es daher, das Verhalten von Lehrer:innen genauso regelmäßig zu überprüfen, wie es an sonstigen Arbeitsstellen der Fall ist. Im Erwachsenenalter kann es schwer werden, zu reflektieren und viele Menschen schließen die Augen vor systematischer Diskriminierung. Es muss also aktiv sensibilisiert werden.
In Zeiten, in denen über einen „Migrationsdeckel„ gesprochen wird, der den Anteil an Schüler:innen mit Migrationshintergrund an Schulen begrenzen soll, ist es kein unrealistischer Gedanke, dass auch Lehrer:innen, die viele ungute Erfahrungen gemacht haben und abgehärtet sind, ein verfestigtes Bild von ihren sozial benachteiligten Schüler:innen haben. Dieses Bild gilt gebrochen zu werden, denn jedes Kind und jeder:r Schüler:in in Deutschland hat das Recht, fair behandelt zu werden.
A. hat sein Abitur in Chorweiler nicht bestanden. Aus Sorge vor möglichen Reaktionen möchte er, dass dieser Artikel erst nach den Nachprüfungen erscheint. Nun plant er ein Freiwilliges Soziales Jahr und anschließend eine Ausbildung.
Quellen
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/sozialbericht-2024/553205/einkommen-und-einkommensverteilung/