Hammer und Sichel sind Symbole, die bekanntlich für den Marxismus-Leninismus stehen, ähnlich wie die Farben Rot in Verbindung mit Gelb, weshalb viele kommunistische Länder, diese aufgegriffen haben. Als Beispiel dafür gilt zum Beispiel die Volksrepublik China, die sozialistische Republik Vietnam und natürlich die Sowjetunion.

Aber was heißt es eigentlich in so einem Land aufzuwachsen und was macht das mit den Kindern und Nachfahren, die dann nicht mehr unter diesen Prinzipien leben müssen? Genau darum wird es in diesem Artikel gehen, die ehemalige Sowjetunion und ihre Reichweite bis in die heutige Zeit.


Beide meiner Eltern sind in der Sowjetunion aufgewachsen und dann nach dem Fall des „eisernen Vorhangs“ nach Deutschland gekommen. Sie lernten sich kennen und lieben in Köln. Nicht mal ein Jahr nach Ihrer Hochzeit am 31.07.2003 kam ich auf die Welt in einem Krankenhaus in Köln und obwohl ich mein Leben lang in NRW gelebt habe, spüre ich die Folgen der Sowjetunion als wären sie noch so präsent wie damals.

Bevor ich weiter schreibe, will ich natürlich unterstreichen, dass jedes Post sowjetische Kind seine eigenen Erfahrungen gemacht hat und dieser Artikel auf meinen Erfahrungen beruht.

Um jedoch zu verstehen, wie dieses in der Generation verbreitete schwere Trauma entstanden ist, muss man erstmal das Leben in der und die Ausmaße der Sowjetunion verstehen. Zur Sowjetunion gehörten die Länder Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Litauen, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenien/Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland/Belarus. Nun ja, das Leben dort trotz der Ausmaße und der immensen Menge an Rohstoffen war alles andere als schön, man kann das Leben relativ gut mit dem Leben in der DDR vergleichen. Armut, Hunger und Ungleichheit dominierten den Alltag. Das Volk war unzufrieden, um es mild zu beschreiben. Doch der Regierung war es relativ, sie waren reich, hatten alles im Übermaß und falls jemand auch nur wagte etwas Negatives zu sagen wurde er sofort inhaftiert oder umgebracht. Die Kinder, die selten Liebe zu Hause erfuhren, da die beiden Eltern arbeiten mussten und einfach keine Zeit für die Grundbedürfnisse ihres Kindes hatten, wuchsen viele der Kinder oft bei ihren Großeltern auf – wo Aufklärung relativ kleingeschrieben wurde. Im Kindergarten war alles noch einigermaßen kinderfreundlich, wenn man von der Gehirnwäsche und Propaganda absieht, die Realität der Sowjetunion holte die Kinder aber oft wieder in der Schule ein. Die Noten wurden laut vor der ganzen Klasse verkündet, der Druck war groß und die wirklich wohlhabenden Schüler:innen konnten sich auch ihre Note erkaufen. Dann gab es natürlich auch die nach-schulischen Veranstaltungen, die für alle verpflichtend waren.
Viel jedoch erzählten meine Eltern nicht darüber und allgemein war die Sowjetunion immer auf eine besondere Art ein Tabuthema. Es war nicht so, dass man uns explizit verbat darüber zu reden, aber manche Sachen wollten einfach vergessen bleiben oder wurden genutzt um zu zeigen wie gut man es doch in Deutschland hat. Trotz der Versuche und der Hoffnungen, die Sowjetunion hinter sich zu lassen, war sie da, wie eine unangenehme Präsenz, die einfach nicht wegwollte.

Das Leben eines Sowjets jüdischen Kindes (meins) war dominiert vom Lernen. Das Sprichwort aus dem Russischen übersetzt, das einzige, was man uns nicht wegnehmen kann, ist die Bildung und unser Wissen war für mich ein dauerhafter Begleiter. Vom Kindergarten, wo ich schon auf Russisch lesen und schreiben konnte und nachmittags zur rhythmischen Sportgymnastik gegangen bin. Bis in die Grundschule wo ich Englisch Tutoren hatte und meine Eltern mich darauf vorbereiten aufs Gymnasium zu kommen, jegliche andere Schule stand außer Frage. Die Grundschule ist da, wo der Spaß anfing. Meine Eltern verstanden den spielerischen und entspannten Anfang der Lehrer:innen nicht. Die Leistungserbringung war das Ein und Alles. Das Ziel meiner Eltern, getrieben von der Sowjetunion und dem gleichermaßen belastetet Umfeld, war das Kind aufs Gymnasium zu schicken, damit es dann nach der Uni einen gut bezahlten Job bekommt um gut für sich und seine Familie zu sorgen. Da war nicht viel Spaß bei. Schule sollte nicht lustig sein oder ein Ort in den man hingeht, um Vergnügen zu haben. Und so ging es weiter.

Es fehlte einfach Verständnis dafür, dass wir nicht mehr in der Vergangenheit leben. Es fing mit simplen Käufen von Taschenrechnern an, wo sie sich gegen geweigert haben bis hin zu den Noten oder der Fächerverteilung in der Oberstufe. Ich war ein Akademiker-Kind und natürlich musste ich auch Akademiker werden, was denn sonst? Mitspracherecht war da nie wirklich da. Ich erinner mich als ich damals erwähnte ich wollte Journalist werden, beide meiner Eltern meinten es wäre keiner stabiler Job oder ich müsste nicht Journalismus studieren, um Journalist zu werden und so ging es weiter, Historiker, Biologe, nichts hat gepasst, nicht war stabil genug und ständig durfte man sich anhören wie undankbar man sei für all die Möglichkeiten die man habe. Ich verstand leider erst viel, viel später, dass die richtige Antwort: „Arzt oder Anwalt“ sei – etwas Stabiles, etwas was in der Gesellschaft hoch angesehen, etwas was bewundert und immer gebraucht wird. Und genau auf sowas wird man sein Leben lang vorbereitet. Man erhält Liebe im Gegenzug zu sehr guter Leistung, drei war nicht mehr gut genug. Mit anderen
Worten war ich nie gut genug, ob im Leistungssport oder in der Schule. Der Druck war enorm und nicht von zu Hause, sondern auch von den Medien. Wie passte ich am besten in die moderne Gesellschaft, ohne die alten Werte meiner Eltern zu enttäuschen? Sich selbst auszudrücken, war ein No-Go in beiden Situation. Aus dieser Zeit weiß ich nur noch, dass ich mich sehr alleine gefühlt habe. Als Homosexueller, mit homophoben Eltern und einer sich sehr langsam entwickelnden Gesellschaft. Ich hab einfach alles unterdrückt und das perfekte Kind gespielt. Gut genug war ich trotzdem nicht. Für beide Gruppen nicht. Ich hatte weder eine wirklich stabile Freundesgruppe noch Eltern, mit denen ich über meine Probleme reden konnte, da die ja eh nur „Kindergarten“ seien und sie es in meinem Alter ja viel schlimmere hatten. Ich kann nicht genug betonen, wie leistungsorientiert mein Umfeld doch war. Das alles führte im Endeffekt dazu, dass ich psychische Probleme entwickelte. Die wiederum, umso weniger akzeptiert wurden. Ich sollte mich ja nicht so anstellen und sie als ehemalige sowjetische Bürger:in haben ja auch keine Probleme, etwas was rückblickend nicht stimmt.

Dieser ganze Druck und Unverständnis führten dazu, dass ich mit 16 schon von zu Hause auszog, um mein eigenes Leben zu leben. Jedoch spüre ich die Sowjetunion immer noch, den Druck auf den Schultern geht nie weg, auch mit dem Ausbruch aus meinem Elternhaus. Dieses Trauma ist tief eingebettete und der schulische Aspekt ist nur einer von vielen. Ein weiteres Beispiel ist die Verharmlosung von häuslicher Gewalt. Worauf ich aber hier nicht weiter eingehen werde. Bis ich gemerkt habe, dass ich meine eigene Person bin und nicht dauerhaft im Schatten meiner Eltern lebe, vergingen ungefähr zwei Jahre. Der Wunsch nach Perfektion ist immer noch da, genauso wie der Druck. Auch der Wunsch nach außen hin nichts zu zeigen ist geblieben.

Im Endeffekt kann jede:r aussuchen, ob man das Generationstraumata weiter gibt, die Zukunft eines selbst liegt in den Händen von sich selbst und nicht in den von den Eltern oder der Umgebung. Keine Frage, es ist ein großer Teil von einem selbst, aber nichtsdestotrotz muss man an seinen Wünschen festhalten und niemals aufgeben, auch wenn die Sowjetunionen einen mal wieder einholt. Die Zeit des „eisernen Vorhangs“ ist für mich lange vorbei. Ich bin ich und nicht meine Eltern oder ihre Erlebnisse. Ich definiere mich selbst. Meine Entscheidung ist somit meine eigene Geschichte zu schreiben und nicht die des Vorhangs weiterzuführen und könnte ich eine Sache machen, dann würde ich in der Vergangenheit zurückgehen, um dem kleinen Mädchen von damals zu sagen, dass alles okay ist, dass ich Menschen gefunden habe, die mich so akzeptieren, wie ich bin und ich immer noch Journalist werden will.
Wenn man es wirklich will, dann schafft man das auch. Das wichtigste ist, lasst die Vergangenheit in der Vergangenheit und nutzt die Gegenwart vollständig, mit ihrem vollen Potenzial aus.


Quelle Beitragsbild: © Peter Turnley/CORBIS – abgerufen von: https://www.dailymail.co.uk/news/article-2255693/Last-pictures-life-iron-curtain-collapse-USSR.html